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Für eine Zukunft ohne Kernwaffen

Im deutschen Trägerkreis "Atomwaffen abschaffen - bei uns anfangen" engagieren sich rund 50 Nichtregierungsorganisationen

Xanthe Hall ist Sprecherin der von ihnen ins Leben gerufenen Kampagne "unsere zukunft - atomwaffenfrei", die für heute (30. August) zu einer bundesweite Aktion am Atomwaffenlager Büchel aufgerufen hat. Mit der abrüstungspolitischen Koordinatorin der Internationalen Ärzte gegen den Atomkrieg (IPPNW) sprach für das "Neue Deutschland" (ND) Olaf Standke.



ND: Heute demonstrieren Menschen aus der ganzen Bundesrepublik vor dem Fliegerhorst in Büchel gegen Atomwaffen auf deutschem Boden. Wie groß ist das nukleare Gefahrenpotenzial hierzulande?

Hall: Das unterliegt natürlich der Geheimhaltung. Deshalb können wir es nur schätzen. Nach Auswertung aller uns zugänglichen Quellen gehen wir davon aus, dass auf dem Fliegerhorst Büchel zwischen 10 und 20 US-amerikanische Kernwaffen lagern.

Zuletzt haben uns beunruhigende Meldungen über die mangelnde Sicherheit der atomaren Depots der USA in Europa erreicht. Wie sind die Zustände in Büchel?

Gestern gab es wegen eben dieser Sorgen eine »parlamentarische« Besichtigung des Standorts. Wie mir gesagt wurde, seien die Kernwaffen in Büchel sicher gelagert. Aber das übergeordnete Problem ist doch, dass diese Atombomben überhaupt in Deutschland existieren. Sie sind schon ein Unsicherheitsherd und eine Gefahr für uns alle, weil sie Deutschland zum potenziellen Angriffsziel machen.

Welche Funktionen haben diese Atomwaffen überhaupt noch?

Eine gute Frage. Sie sehen aus wie ein Überbleibsel aus dem Kalten Krieg und erfüllen offenbar keinen militärischen Zweck mehr, weil sie gerade noch die heutigen EU-Grenzen erreichen können und nicht mehr. Man könnte meinen, ihre Stationierung hier diene vor allem dem NATO-Zusammenhalt.

Deutschland gilt offiziell als Nicht-Atomwaffenstaat. Doch die sogenannte nukleare Teilhabe der Bundesrepublik schafft eine militärische Hintertür. Wie muss man sich die vorstellen?

Es gibt zwei Arten von Teilhabe. Das ist zum einen die militärtechnische. Das heißt, Deutschland stellt Flugzeuge und Piloten zur Verfügung, man trainiert den Einsatz der Atomwaffen. Das passiert hier in Büchel. Und es gibt eine politische Teilhabe für die NATO-Staaten, indem sie in der nuklearen Planungsgruppe der Allianz über den Einsatz reden. Und wenn es zum Ernstfall kommt, dann werden sie auch über den Einsatzbefehl sprechen.

Was fordern Sie von der Bundesregierung?

Wir fordern den Abzug der Atombomben als ganz klares Signal an die Welt, dass Deutschland keine Kernwaffen für die eigene Sicherheit braucht und auch, um die Verhandlungen mit anderen Staaten voranzubringen, etwa mit Iran oder mit Russland. Wir verlangen zudem, dass sich die Bundesregierung nicht mehr an der NATO-Planung für einen Atombombeneinsatz beteiligt. Langfristig wollen wir erreichen, dass der Nordatlantik-Pakt seine Nuklearpolitik endlich aufgibt.

Das wäre nicht nur ein deutsches Problem. Die USA lagern wahrscheinlich noch rund 250 taktische Atomwaffen in Europa. Der Kontinent als atomwaffenfreie Zone - wäre das ein realistischer politischer Ansatz?

Ja, ein realistischer und unbedingt notwendiger. Gibt es keinen grundlegenden Kurswechsel, werden immer mehr Staaten ermuntert, selbst Atomwaffen zu entwickeln. Doch die größte Sicherheit entsteht durch die Abschaffung aller Atomwaffen.

In Büchel, wo es schon die ganze Woche ein Aktionscamp mit vielfältigen Aktivitäten gibt, sollen heute mit einer großen Protestaktion die letzten Atomwaffen symbolisch ausgekehrt werden.

Die Kampagne »unsere zukunft - atomwaffenfrei«, zu der rund 50 Organisationen gehören, will seit vielen Jahren ein Deutschland ohne Kernwaffen bis spätestens 2010 - als wegweisenden Beitrag für eine atomwaffenfreie Welt. Für dieses Ziel finden wir inzwischen viel Unterstützung, in den Gewerkschaften, in den Kirchen, auch in den politischen Parteien, ob Grüne, Linke oder die SPD, dort vor allem bei den Jusos. Leider ist die FDP, obwohl sie doch den Abzug der Atomwaffen proklamiert, nicht mit im Boot.

Im Herbst wollen wir dann auch richtig Druck auf die CDU-Abgeordneten hier im Wahlkreis machen. Heute aber erwarten wir erst einmal die größte Friedensdemonstration, die Büchel je gesehen hat.

Hintergrund

»Sehr geehrte Frau Merkel, Sie können jetzt Geschichte schreiben und Deutschland in ein atomwaffenfreies Land verwandeln«, so endet ein offener Brief, mit dem sich die Kampagne »unsere zukunft - atomwaffenfrei« an die Bundeskanzlerin gewandt hat. Seit fast 40 Jahren verstößt die Bundesrepublik gegen den Geist des Atomwaffensperrvertrages, denn während man offiziell mit Signatur auf Kernwaffen verzichtet hat, lagern in der Realität nukleare Sprengköpfe auf deutschem Boden, stehen deutsche Tornados und Bundeswehrpiloten für einen eventuellen Einsatz zur Verfügung. »Nukleare Teilhabe« nennt man das in der NATO.

Die USA lagern auch zwei Jahrzehnte nach Ende des Kalten Kriegs einen Teil ihrer aktiven Atomwaffen in Europa. Die Depots könnten bis zu 392 aufnehmen, stationiert sind nach Expertenschätzungen derzeit maximal 240 nukleare Bomben der Typen B-61-3 und B-61-4. Lager befinden sich in Belgien, den Niederlanden und Italien. Auf dem deutschen Fliegerhorst in Büchel, dem Standort des Jagdbombergeschwaders 33 der Bundeswehr, werden noch bis zu 20 Atombomben vermutet. Ihre Wirkung entspricht mehreren hundert Hiroshima-Bomben. In einer internen Studie stellte das US-Verteidigungsministerium unlängst fest, dass »die meisten« der Nuklearwaffenlagerstätten in Europa die strengen Sicherheitsanforderungen nicht mehr erfüllen. Geschlossen wurden in den letzten zehn Jahren die deutschen Depots Nörvenich, Memmingen und Ramstein. Andere NATO-Staaten sind auch aus der »nuklearen Teilhabe« ausgeschieden -- Kanada etwa, Griechenland, zuletzt die Türkei.

Olaf Standke


* Aus: Neues Deutschland, 30. August 2008


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