Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Agentenposse in Miami

Nach Ausweisung von Diplomatin schließt Venezuela Konsulat in Florida. Kampagne wegen angeblicher Spionage

Von André Scheer *

Miami ist nicht nur ein Zentrum rechtsextremer Auslandskubaner, es hat sich in den vergangenen Jahren auch zu einer Hochburg venezolanischer Regierungsgegner entwickelt, die sich in der karibisch geprägten Stadt im US-Bundesstaat Florida niedergelassen haben. Unterstützer von Venezuelas Präsident Hugo Chávez haben hier einen schweren Stand. Davon zeugen etwa die Ergebnisse von Wahlen, bei denen die im Ausland lebenden Venezolaner ihre Stimme in den Botschaften und Konsulaten des Landes abgeben können. Bei der letzten Parlamentswahl 2010 etwa bekam das Oppositionsbündnis hier fast 90 Prozent der Stimmen, während auf die regierende PSUV gerade einmal 1,3 Prozent entfielen. Doch seit Tagen ist das venezolanische Konsulat in Miami geschlossen und wird dies offenbar auf längere Zeit bleiben.

Die Regierung in Caracas hatte am vergangenen Wochenende die Schließung ihrer Vertretung angekündigt und damit auf die von den US-Behörden einige Tage zuvor verfügte Ausweisung von Konsulin Livia Acosta Noguera reagiert. Washingtons Begründung dafür, die erfahrene Diplomation zur »unerwünschten Person« zu erklären, liest sich wie einer billiger Agentenkrimi. Die US-Administration wirft ihr vor, Teil eines Spionagenetzwerks gewesen zu sein. Dessen Mitglieder, Agenten aus Iran, Kuba und Venezuela, hätten im Jahr 2008 Hackerangriffe auf die Internetpräsenzen des Weißen Hauses, der CIA, des FBI und des Pentagon geplant. Acosta arbeitete damals in einem Konsulat ihres Landes in Mexiko.

Ausgelöst wurde die Hetze gegen die Diplomatin Anfang Dezember durch einen Dokumentarfilm des spanischsprachigen US-Fernsehsenders Univisión, »der eher für seine Telenovelas als für seriösen Journalismus bekannt ist«, wie das venezolanische Außenministerium am Montag (Ortszeit) durchaus korrekt anmerkte. Es handele sich um »infame Spekulationen«, die das Leben und die Gesundheit der Angestellten des Konsulats in Gefahr gebracht hätten. Deshalb werde man alle Funktionäre nach Caracas zurückholen. »Das venezolanische diplomatische und konsularische Personal ist Ziel von Drohungen und Einschüchterungen geworden, die vor dem Hintergrund der kriminellen und terroristischen Natur dieser Individuen und Organisationen, denen die US-Regierung in Florida Schutz gewährt, eine reale, schwere und unmittelbare Gefahr bedeuten«, heißt es in der Erklärung des Ministeriums.

Das ist nicht von der Hand zu weisen. Die erste öffentliche Bekanntmachung der Ausweisung der venezolanischen Diplomatin kam nicht etwa aus dem dafür zuständigen State Department in Washington, sondern wurde von Roger Noriega über den Internetdienst Twitter herausposaunt: »Chavistische terroristische Spionin Generalkonsulin Livia Acosta aus USA ausgewiesen!«

Dieser Herr Noriega ist in Lateinamerika kein Unbekannter. Als hoher Diplomat und Beamter unter den US-Präsidenten Ronald Reagan und ­George W. Bush wird er unter anderem mit der Ermordung von sechs Nonnen des Jesuitenordens in El Salvador am 16. November 1989 in Verbindung gebracht. Die Missionarinnen waren von rechtsextremen Todesschwadronen hingerichtet worden, weil sie verdächtigt wurden, die damalige Guerilla und heutige Regierungspartei FMLN zu unterstützen. Verwickelt war Noriega auch in den Putschversuch gegen den venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez im April 2002. Nach dem Staatsstreich in Honduras 2009 tauchte er als Berater von Roberto Micheletti auf, der nach dem Sturz des gewählten Präsidenten Manuel Zelaya als Staatschef inthronisiert worden war. Im US-Magazin Forbes verteidigte er damals den Putsch als legitime Verteidigung von Parlament und Gerichten gegen die »Aggressionen« Zelayas. Nach dem erreichten Rauswurf der venezolanischen Diplomatin hat Noriega bereits sein nächstes Ziel ausgemacht und ebenfalls über Twitter die US-Bundespolizei FBI aufgefordert, die Journalistin Eva Golinger, die unter anderem für venezolanische Medien und den Moskauer Fernsehsender Russia Today arbeitet, »wegen Verrat oder als Agentin eines feindlichen Regimes« vor Gericht zu stellen.

* Aus: junge Welt, 18. Januar 2012


Zurück zur Venezuela-Seite

Zur USA-Seite

Zurück zur Homepage