Die Zeche zahlt die "Unterschicht"
Der Politologe Ingar Solty über Krise, Wahlen und Rechte in den USA
Ingar Solty, 1979 geboren, ist
Doktorand im Fachbereich Politikwissenschaft
der York University in Toronto und Redakteur der Zeitschrift
»Das Argument«. In seiner Dissertation beschäftigt er sich mit
der politischen Ökonomie des Rechtspopulismus in den USA. Mit
ihm sprach für »nd« Max Böhnel.
Was müsste der hölzerne Mitt
Romney auf dem Parteitag der
Republikaner tun, damit sich die
Parteibasis geschlossen hinter ihn
stellt?
Romney hatte in der Tat erhebliche
Probleme mit der Parteibasis.
Er war von Anfang an der Kandidat
der Parteieliten. Seine Gegenkandidaten
vom rechten Flügel allerdings vermögen zwar die Basis
zu begeistern, sind aber national
im Grunde unwählbar. Eine
rechte Botschaft mehrheitsfähig
machen, das kann im Prinzip nur
Mitt Romney. Ein Grund dafür,
warum er so »hölzern« wirkt, ist,
dass er einer anderen Klasse angehört
als die Basis. Und es mangelt
ihm an der entsprechenden
Mittelklasse-Wut, die im deutschen
Kontext auch als »rohe
Bürgerlichkeit« bezeichnet wird.
Nachdem sich die Parteigranden
und der rechte Flügel hinter
ihn gestellt haben, wird er auf dem
Parteitag aber wohl die richtigen
Worte finden, um die Parteibasis
zu begeistern. Er weiß, dass in den
USA Wahlen in erster Linie durch
Geld und angesichts der hohen
Wahlabstinenz in zweiter Linie
durch Mobilisierung gewonnen
werden.
Welche Rolle spielt der Marktradikale
Paul Ryan als Vizekandidat
der Republikaner?
Die Entscheidung Romneys für
Ryan sollte helfen, die Tea-Partynahe
Basis zu elektrisieren. Zugleich
aber hat Romney seiner
Kampagne mit dieser Entscheidung
wohl einen Bärendienst erwiesen.
Denn Ryan ist die Extra-
Munition, die Obama braucht, um
wiedergewählt zu werden. Die US-Wahlen
2012 laufen auf einen Wahlkampf der Negativkampagnen
hinaus. Dank Ryan kann Obama nun als gemäßigter neoliberaler
Austeritätspolitiker vor dem
Gespenst des Marktradikalen Ryan
warnen, der mit seinem Ansatz
sogar die US-Bischofskonferenz
gegen sich aufgebracht hat.
Was ist in den USA Ihrer Beobachtung
nach zur Zeit sowohl
rechts als auch populär?
Historisch zielte die Rechte auf die
Rechtfertigung von bestehender
sozialer Ungleichheit ab. Als Mittel
dienen dazu Ideologien, die Ungleichheit
als natürlich darstellen:
der Klassismus [1], der die »unteren« lohnabhängigen Schichten als »dumm«, »unkultiviert« und »irrational«
abwertet, und der Rassismus, der
neu Zugewanderte als »gefährlich
«, »rückständig« oder »(volks-
)schädlich« verfolgt. Wobei dieser
Rassismus soziale Probleme
ethnisiert und auch im klassischen
Einwanderungsland USA als Islamfeindlichkeit
daherkommt.
Rechte Ungleichheitsideologien
florieren in (Wirtschafts-)Krisen,
denn dort kommt es zu Verteilungskämpfen
zwischen den Klassen.
Die soziale Basis der Rechten
sind die verunsicherten Mittelklassen.
Angesichts des drohenden
sozialen Abstiegs grenzen sie
sich mit Rassismus und Klassismus
nach unten ab. Für die Krise
bezahlen sollen die »Minderwertigen«.
...was sich in der Tea-Party-Bewegung
äußert.
Deshalb lassen sich Teile der verunsicherten
Mittelklassen für Argumentationen
gegen staatliche
Hilfen für die (schwarzen oder armen
weißen) Hausbewohner mit
sogenannten Subprime-Hypotheken
gewinnen. Sie befürchteten
durch die Gesundheitsreform höhere
Steuern in Folge der Versicherung
der bisher Nichtversicherten.
Sie empfinden staatliche
Rettungspakete für Autokonzerne
und Banken als ungerecht, weil
man ihnen als Selbstständigen
oder Ladenbesitzern schließlich
auch nicht helfe. Hier ist die naive
Theorie vom freien Markt, der gute
Entscheidungen belohnt und
schlechte bestraft, plausibel.
[1] Der in den USA entstandene Begriff »Classism« bezeichnet die systematische
Diskriminierung und Unterdrückung
einer gesellschaftlichen Gruppe durch
eine andere, basierend auf ökonomischen
Unterschieden und dem tatsächlichen,
vermuteten oder zugeschriebenen
sozial- oder bildungspolitischen Status.
Aus: neues deutschland, Donnerstag, 30. August 2012
Zurück zur USA-Seite
Zurück zur Homepage