Doppelte Flitterwochen im Weißen Haus
Drei Monate nach Regierungswechsel herrscht in USA weiter Hoffnung
Von Max Böhnel, New York *
Auch wenn die konservative Opposition vor der »sozialistischen« Übernahme des Landes durch Barack Obama warnt und sich linke Gruppen erstmals enttäuscht über die zu kleinen Schritte zeigen, steht die Mehrheit der US-amerikanischen Bevölkerung hinter ihrem neuen Präsidenten.
»Meist positiv«, »unvollständig«, »Chance verpasst« – die Noten, die der USA-Präsident Barack Obama für seine ersten drei Monate Amtszeit von rechts bis links erhält, füllen erwartungsgemäß ein weites Spektrum aus. Der kleinste gemeinsame Nenner in Hunderten von Kommentaren, Analysen und Konferenzen zum künstlichen Datum »100 Tage« besteht jedenfalls darin, dass Obama, was Stil und Inhalt seiner Regierung angeht, »politisch flexibel« sei.
Von ganz rechts tönt es, der Afroamerikaner sei ein »Sozialist« und »Appeasement-Politiker«. Doch die paranoiden Hetzer, die vor allem beim TV-Sender »Fox« ihre Weltsicht zum Besten geben, stoßen bisher auf taube Ohren. Umfragen zufolge erhält Obama in der Bevölkerung weit höhere Zustimmungsraten als die meisten seiner Vorgänger (siehe Kasten).
Die Opposition ist geschwächt
Die große Unterstützung für den jungen Präsidenten steht auf den ersten Blick im Gegensatz zur von den befragten Amerikanern empfundenen »Richtung, in die das Land steuert«. In manchen Umfragen halten über zwei Drittel den allgemeinen Kurs für »negativ«. Die Hauptschuld wird dafür aber nicht der Obama-Regierung gegeben, sondern der Bush-Administration und der Wirtschaft.
Dass Obama mitten in der schwersten Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten so hoch im Kurs steht, ist daher zum einen als Vertrauensvorschuss zu werten. Zum anderen ist die konservative Opposition der Republikaner so geschwächt, dass sie außer dem alten und diskreditierten Mantra vom »freien Markt« keine Alternative anzubieten hat und rechte Kritik an Obama in weiten Teilen der Bevölkerung deshalb als bloße Neinsagerei empfunden wird. Die Welle der Zustimmung, auf der er schwimmt, nutzte Obama, um eine Rekordzahl von Präsidentialverfügungen, Memoranden und Absichtserklärungen zu unterzeichnen. Damit kommt er an Franklin Roosevelt heran, der als Reaktion auf die »Great Depression« von 1929 und den Jahren danach mit dem »New Deal« die Sozialdemokratisierung und die Weltmachtstellung der USA eingeleitet hatte.
Die ersten 100 Tage seien als »doppelter Höhenflug« zu werten, sagt der Politikwissenschaftler Ross Baker von der Rutgers University im Bundesstaat New Jersey. Obama befinde sich in den traditionellen »Flitterwochen« mit den Amerikanern – die ersten Monate einer neuen Administration, in der auch Gegner mit Neugierde auf Washington blicken und harte Konfrontationen mit dem Weißen Haus auf später verschieben. Zudem würden sich wegen der Krise sowohl in der Bevölkerung als auch im Kongress, der von Obamas Demokraten beherrscht wird, alle Hoffnungen auf den Präsidenten konzentrieren.
Obwohl Obama während der ersten drei Amtsmonate mehr Tage im Ausland verbrachte, wurden seine »100 days« von der Wirtschaftskrise und seinen fiskal- und sozialpolitischen Antworten geprägt. Er brachte den Kongress dazu, seinen gigantischen Haushaltsplänen von insgesamt 3,55 Billionen Dollar zuzustimmen. Um sein Konjunkturpaket durchzubringen, musste er zwar Abstriche in Millionenhöhe machen. Doch in den verabschiedeten 787 Milliarden Dollar sind sowohl die Steuererleichterungen für die Mittelschicht enthalten wie auch die Ausgabeprioritäten, auf denen er bestanden und die er im Wahlkampf versprochen hatte. Dazu zählen die Erweiterung bei Krankenversorgung, Infrastruktur, erneuerbaren Energien und im Bildungsbereich. Darüber hinaus setzte Obama staatliche Zuschüsse in Höhe von 275 Milliarden Dollar durch, die die Zwangsräumungen von zahlungsunfähigen Hausbesitzern aufhalten sollen, sowie 100 Milliarden zur Rettung maroder Banken.
Gute Gelegenheit für umstrittene Gesetze
Die Post-Bush-Ära und die neuen Mehrheitsverhältnisse im Kongress boten Obama eine gute Gelegenheit, schnell Gesetze auf den Weg zu bringen, die unter Bush abgeschmettert worden waren. Die Gesundheitsversorgung für Millionen unversicherter Kinder wurde durchgesetzt. Frauen können aufgrund eines neuen Gesetzes leichter gleichen Lohn für gleiche Arbeit einfordern. Die Geheimnistuerei, mit der die Bush-Regierung den »Information of Freedom Act« – das Recht US-amerikanischer Staatsbürger auf Akteneinsicht – vernebelte, wurde aufgegeben.
Nicht zuletzt hat Obama der Reform der Krankenversicherung sowie einer Gesetzgebung, die Schadstoffemissionen begrenzen könnte, den Boden bereitet. Doch beiden Initiativen stehen im Abgeordnetenhaus und im Senat große Widerstände entgegen. Von einer universellen Krankenversicherung westeuropäischen Zuschnitts nahm Obama bereits Abstand. Er will das existierende private System mit einem halbstaatlichen »ergänzen«. Und die milliardenschweren Umweltverschmutzer mobilisieren hinter verschlossenen Türen bereits gegen den »Staatssozialismus«, der ihre Profite begrenzen würde.
Verschiedene linke Gruppen, die Obama teilweise zunächst unterstützt hatten, nehmen die »100 days« erstmals zum Anlass, Kritik zu wagen. Der Ex-Präsidentschaftskandidat der Grünen, Ralph Nader, bemängelte auf der Internetseite commondreams.org unter der Überschrift »Wo ist mein Wandel?«, Obama habe seine Regierung mit keiner einzigen Verbraucherinitiative ausgestattet und nur die alte neoliberale Clinton-Riege mit Macht versehen. Von einer Arbeitsschutzreform, einem Mindestlohn oder einer Bürgerbeteiligung sei keine Rede.
Der Journalist Chris Hedges ging in der linken Zeitschrift »The Nation« noch weiter. Obama habe »den Augenblick verpasst«. Statt die Gunst der Stunde zu nutzen und ein sozialdemokratisches soziales Netz für die Amerikaner durchzuboxen, habe Obama die Wall-Street und die Washingtoner Lobbyisten mit Milliarden bei Laune gehalten. Der »Kasino-Kapitalismus und die finanzielle Ruchlosigkeit unserer wirtschaftlichen und politischen Elite« würden, so Hedges, in eine neue Runde gehen. Zu erwarten seien entweder Deflation oder Hyperinflation – »und weder das eine noch das andere wird angenehm werden«.
Chronologie
Die wichtigsten Stationen der 100-tägigen Amtszeit des neuen USA-Präsidenten Barack Obama-
20. Januar: Obama tritt als erster Afroamerikaner das Amt des US-Präsidenten an.
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22. Januar: Schließung des Gefangenenlagers Guantanamo binnen eines Jahres wird angekündigt.
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3. Februar: Nach Steuerskandalen um mehrere Kabinettsanwärter entschuldigt sich Obama im Fernsehen. »Ich habe Mist gebaut.«
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17. Februar: 787 Mrd. Dollar teures Konjunkturpaket tritt in Kraft.
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19. Februar: Die erste Auslandsreise im Amt führt nach Kanada.
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27. Februar: Ankündigung, die meisten US-Truppen in Irak bis August 2010 abzuziehen.
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3. März: Bestimmungen zum Naturschutz treten wieder in Kraft, die Vorgänger George W. Bush ausgesetzt hatte.
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16. März: Obama ruft den Versicherer AIG auf, die Millionen-Boni seiner Manager zurückzuzahlen.
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20. März: In einer Videobotschaft unterbreitet Obama Iran ein Dialogangebot und bekundet seinen Willen zum Frieden.
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26. März: Der Präsident kündigt für die US-Autobauer General Motors und Chrysler eine »schmerzhafte Restrukturierung« an.
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27. März: Neue Strategie für den Einsatz in Afghanistan vorgestellt: 17 000 zusätzliche US-Soldaten sollen entsandt werden.
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1. April: Erste Amtsreise nach Europa: Teilnahme am Weltfinanzgipfel in London.
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3. April: Erster Besuch als Präsident in der Bundesrepublik beim NATO-Gipfel in Baden-Baden.
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5. April: In Prag kündigt Obama Initiativen zum Klimaschutz und zur Atomwaffenvernichtung an.
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7. April: Erste Reise als Präsident nach Irak.
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13. April: Aufhebung eines kleinen Teils der Sanktionen gegen Kuba.
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17. April: Beim Amerika-Gipfel in Trinidad und Tobago verspricht Obama den Ländern des Kontinents »eine neue Phase des Dialogs«.
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21. April: Geheime Unterlagen der CIA zur Misshandlung von Terrorverdächtigen werden veröffentlicht, CIA-Mitarbeitern wird aber zugleich Straffreiheit zugesichert.
* Aus: Neues Deutschland, 29. April 2009
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