Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Der Glanz verblasst

Fragen zur flächendeckenden Bespitzelung durch die USA

Von Max Böhnel, New York *

Der Berlin-Besuch Obamas hat für die USA vor allem symbolische Bedeutung und ist kaum mehr als eine Verschnaufpause für den innenpolitisch angeschlagenen Präsidenten. Trotzdem erwarten Beobachter Reden mit außenpolitischer Substanz.

Obama in Deutschland – der erste amtliche Berlin-Besuch des 51-Jährigen als Präsident spielt für USA-Medien kaum eine Rolle. Die Erwartungshaltung in der Öffentlichkeit ist entsprechend niedrig. Hervorgehoben wird die Tatsache, dass Obama in den nächsten zwei Wochen bis zum Unabhängigkeitstag am 4. Juli nur wenige Tage in Washington verbringen wird. Nach dem G 8-Gipfel und Berlin stehen Tansania, Südafrika und Senegal auf dem Programm. Auf den US-amerikanischen Wohnzimmerbildschirmen wird deshalb ein lächelnder Präsident zu sehen sein, der im Ausland Hände schüttelt und Zustimmung erntet. Seine Auslandsreisen stellen »mit großer Sicherheit eine Pause von der negativen Berichterstattung für das Weiße Haus dar«, befand die »Washington Post« am Montag. Denn so oder so ziemt es sich selbst für die schärfsten Obama-Gegner in der Hauptstadt nicht, den Präsidenten in Absentia zu kritisieren.

Der Glanz, in dem Obama mit seiner Wiederwahl im vergangenen November erstrahlte, ist in den USA ziemlich verblasst. Eine am Montag veröffentlichte Umfrage, die der Fernsehsender CNN in Auftrag gegeben hat, zeigt einen Absturz bei den Zustimmungsraten für den Präsidenten. Mehr als 50 Prozent der US-Amerikaner halten ihn nicht für ehrlich oder vertrauenserweckend. Innerhalb eines Monats fiel die Gesamtzustimmungsrate damit um acht Prozent. Die Gunst bei jungen US-Amerikanern unter 30 Jahren fiel um das Doppelte auf 17 Prozent.

Die Berichterstattung der hiesigen Medien war in den vergangenen Wochen für das Weiße Haus nicht schmeichelhaft. Den Enthüllungen über die USA-Steuerbehörde IRS, die erzkonservative Gruppierungen besonders im Blick hatte, folgten die fragwürdigen Reaktionen des Weißen Hauses nach einem Terroranschlag auf das USA-Konsulat im libyschen Bengasi. Daraufhin wurde bekannt, dass das Justizministerium wochenlang Telefonate von Journalisten abhören ließ. Kurz darauf setzte sich der Abhörspezialist Edward Snowden von der Geheimdienstbehörde NSA nach Hongkong ab, wo er die flächendeckende Bespitzelung der US-amerikanischen Bürger öffentlich machte.

Dass sich ein Großteil der deutschen Bevölkerung, die ebenfalls im Visier der USA-Spitzel war (und ist), verärgert über die Obama-Regierung zeigt, blieb in den Medien jetzt nicht unerwähnt. Die Deutschen seien wegen der Erinnerungen an die DDR-Staatssicherheit und die Verletzung der Privatsphäre recht sensibel, lautet der Tenor. Einige der mit Obama mitreisenden Journalisten werden dem Vernehmen nach umso genauer auf die Reaktionen in Deutschland schauen.

Von der Obama-Rede am Brandenburger Tor erwarten Beobachter Sätze, die Obama als sein »Erbe« nach Beendigung der zweiten Amtszeit verbuchen könnte. Vor allem aber wird erhofft, dass er sich außenpolitisch konkret äußert, etwa zur US-amerikanischen Politik gegenüber Syrien und Iran sowie über die Lage in der Türkei.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 18. Juni 2013


Merkel ist gefordert

Ohne Kritik keine wirkliche Partnerschaft

Von Reiner Oschmann **


Wird Kanzlerin Merkel substanzielle Änderungen in der Politik des wichtigsten deutschen Verbündeten anstoßen – und selbst danach handeln?

Wenig deutet darauf hin.

Trotz des Hypes, der die Obama-Visite wie alle US-amerikanischen Staatsbesuche umgibt, weiß die deutsche Seite, dass dieser Präsident nicht kommt, um sich in den Schatten seiner Vorgänger John F. Kennedy oder Ronald Reagan zu stellen. Barack Obama kommt – wie so mancher Präsident, dessen zweite Amtszeit von unerfüllten Versprechen, Skandalen und erschütterter Glaubwürdigkeit geprägt ist –, weil er sich von fernsehträchtigen Bildern aus der Ferne zu Hause Entlastung verspricht. Und weil er hinter gefälligen Worten à la »partnership in leadership« vor allem mehr deutschen Anteil an den Lasten erwartet, die die USA wegen ihres Riesenrüstungshaushalts allein zu tragen immer weniger in der Lage sind. Gerade dieser Erwartung der USA muss Berlin widerstehen und jenen Mut beweisen, der so selten praktiziert wird: Mut vor dem Freund.

Die deutsche Seite sollte einer Partnerschaft widerstehen, solange Amerika damit einen höheren deutschen Militäretat und mehr Beteiligung an der US-Hegemoniepolitik meint. Sie sollte Obama verdeutlichen, dass seine eigene ebenso wie die Glaubwürdigkeit Deutschlands gewönnen, wenn Entwicklung und Einsatz von Kampfdrohnen nicht beschleunigt würden. Wenn die Bundesregierung nicht bloß Aufklärung über »die Rechtsgrundlage« des globalen, auf Deutschland zielenden Ausspähprogramms PRISMA forderte, sondern dessen Stopp. Das hat sie nicht vor: Die Regierung fühlt sich von der NSA nicht abgestoßen, sondern angespornt, ihr eigenes PRISMA zu verwirklichen. Die »außerordentliche Besorgnis«, die CDU-Parlamentarier Wolfgang Bosbach bei Bekanntwerden der NSA-Aktion äußerte, wandelt sich in außerordentliche Krokodilstränen.

Auch die Frage danach, ob sich Deutschlands Status eines »hervorragenden Partners« unbedingt darin äußern muss, dass man »seit vielen Jahren Gastgeber für die größte Zahl von US-Truppen im Ausland« ist (Außenminister John Kerry im Mai zu seinem Amtskollegen Guido Westerwelle), verdient eine kritische Prüfung. Von den einst 200 000 Militärs sind noch fast 40 000 hier – 20 Jahre nachdem Moskau seine 400 000 abzogen hat.

Diese Fragen sind politisch wichtiger, als Obama »nicht willkommen« zu heißen und ihn in eine Schublade mit Bush jr. oder »Sternenkrieger« Reagan zu packen. Obama betreibt trotz der Vorwürfe, die ihm zu machen sind, eine weniger hysterische, eine vorsichtigere Außenpolitik. Dennoch steht die Frage: Wird Berlin den Mut aufbringen und substanzielle Änderungen in der Politik seines Hauptpartners anstoßen – und selbst danach handeln?

Darauf deutet wenig hin. Die Regierung will für den hiesigen Wahlkampf vom Glamour der Obama-Bilder profitieren. Und die 91 Prozent der Deutschen, die im Herbst – wenn möglich – bei der US-Wahl für Obama gestimmt hätten, werden sich erneut von der Sprache eines in seiner Nachdenklichkeit gewinnenden Präsidenten einnehmen lassen. Tatsächlich versucht dieser, die USA in wichtigen Punkten zu läutern. In entscheidenden jedoch folgt er noch immer dem Kurs von Bush jr.

** Aus: neues deutschland, Dienstag, 18. Juni 2013


Zurück zur USA-Seite

Zurück zur Homepage