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USA weiter als Führungsmacht

Obamas neue Sicherheitsstrategie aus russischer Sicht. Von Dmitri Kossyrew *

Die US-Regierung hat ihre neue Sicherheitsstrategie endgültig vorgestellt.

Zuvor waren nur einzelne Punkte bekannt, die Präsident Barack Obama vor einer Woche in seiner Rede in der Militärakademie West Point verkündet hatte. Für die um die USA liegende Welt kann dieses Dokument sowohl erfreulich als auch enttäuschend werden.

Etwas enttäuschend ist, dass es keine Neuigkeiten enthält. Genauso wie früher ist in der Nationalen Sicherstrategie die Politik verankert, die Obamas Regierung schon lange ausübt. Natürlich lässt sich in den Formulierungen immer etwas Auffälliges finden. Es geht nicht darum, dass Bushs Sicherheitsstrategie prinzipiell anders war - obwohl sie sich natürlich von der Strategie Obamas unterschied.

Es geht um die Einzelheiten des jetzigen Dokuments. So sind die USA laut der Strategie am Ausbau des Zusammenwirkens „mit anderen wichtigsten Einflusszentren (China, Indien und Russland) und mit immer einflussstärkeren Ländern (Brasilien, Südafrika und Indonesien)" interessiert. Wird Brasilien falsch eingestuft? Egal wie, Brasilien wird es überleben.

Interessant ist auch, dass die G20 als „wichtigstes Forum der internationalen Wirtschaftskooperation" erwähnt wurde, was sich wohl als neuer Nagel in den Sarg der G8 bewerten lässt.

Aber jegliche offizielle Konzepte sind nicht nur in den USA, sondern in der ganzen Welt so - ohne Sensationen. In den USA müssen solche Dokumente laut Gesetz jedes Jahr veröffentlicht werden, was allerdings niemand macht. George W. Bush präsentierte der Welt zweimal seine Sicherheitskonzepte (2002 und 2006). Obamas Strategie wurde erstmals vorgestellt.

Dieses Dokument ist vor allem für das Ausland bestimmt und viel weniger für den US-Kongress und das Weiße Haus. Dabei muss sich die US-Regierung an die Strategie halten, falls sie sich zum Thema Sicherheit äußern will. Ansonsten gibt es aber an diesem Dokument nichts Besonderes. Es ist nichts als ein Stück Papier.

Das wäre aber in einer „normalen" Situation der Fall. Die USA durchleben zurzeit jedoch eine besondere Phase, und die neue Strategie ist ein Teil der politischen Schlacht, die Obamas Administration führt, um Amerika davor zu bewahren, was bei seinem Vorgänger Bush begonnen hat. Deshalb hat nicht nur die Veröffentlichung der Strategie auf 52 Seiten, sondern auch die Reden Obamas, der Außenministerin Clinton und des Sicherheitsberaters des Präsidenten eine besondere Bedeutung.

Die Schlüsselworte sagte Obama in West Point: Die alte Strategie ist gescheitert. Das Problem ist nur, dass die Republikaner (anders gesagt, die halbe Nation) das immer noch nicht anerkennen wollen und gegen Obama wettern, weil er sich anders als Bush verhält. Wirklich bahnbrechend ist die neue Strategie aber wegen der Feststellung: Der internationale Erfolg der USA hängt von der Kooperation beider Parteien ab, ohne die die USA „in eine strategisch angreifbare Position geraten." In Zeiten des Kalten Krieges, als es den Feind namens Sowjetunion gab, arbeiteten die Demokraten und Republikaner eng zusammen. Heutzutage entstehe „angesichts des Verhaltens beider Parteien der Eindruck, dass unser nationaler Dialog kein gemeinsames Ziel hat", so Obama.

Diese sensationelle Aussage ist übrigens sehr klarsichtig und präzise. Man könnte sich wohl vorstellen, was mit Russland Anfang der 2000er Jahre hätte passieren können, wenn seine Außenpolitik nicht nahezu einstimmig unterstützt worden wäre.

Um die Veröffentlichung der Sicherheitsstrategie Obamas und die begleitende Propaganda gibt es aber noch etwas wichtiges, jedenfalls für Beobachter außerhalb Amerikas. Obama zufolge sollte Amerika „seine wirtschaftliche, moralische und innovative Macht wiederherstellen, wenn sie weiterhin die Welt anführen will."

Diese Worte scheinen die Situation, in die die immer noch stärkste Großmacht der Welt geraten ist, am besten zu beschreiben. Obama ist deshalb ein hervorragender und starker Präsident, weil er das den Amerikanern immer deutlicher sagt, besonders den, die sich dagegen sträuben. Vielleicht klappt bei ihnen alles, wenn Obama nicht schon zu lange damit gewartet hat. Aber auch die Situation um die Sowjetunion könnte sich wiederholen: Damals sagte Präsident Michail Gorbatschow immer richtigere und schärfere Dinge, aber es war schon zu spät.

Was sollte da aber am Ende herauskommen? Wie wird diese „Führung" letztendlich aussehen? Klar ist, dass selbst der mutige Obama nicht offen sagen kann, diese „Führung" wäre gar nicht nötig, weil sie nichts als Ärger bringen würde. Aber vielleicht glaubt er auch wirklich daran, dass „Amerika die Welt anführen" soll.

Erwähnenswert ist, dass die chinesischen Politiker Anfang der 90er Jahre, als die Volksrepublik zunehmend eine wichtigere Rolle in der Welt zu spielen begann, gleich als Erstes feststellten: China soll nicht wie Amerika werden. Es sollte nicht jemanden anführen, weil die Führungsrolle so gut wie selbstmörderisch ist. Führende Großmächte werden nirgendwo gemocht. Und wenn die Chinesen (nicht unbedingt das Establishment) jetzt ihren Kommunikationsstil ändern wollen, kriegen sie sofort zu hören: Ihr verhält euch wie die Amerikaner.

Auch Obama kriegt das ständig zu spüren. Alle seine Probleme in internationalen Fragen entstehen deshalb, weil viele (besonders Iran und Nordkorea) einfach Angst haben, an seine Aufrichtigkeit zu glauben. Oder befürchten, dass nach Obama ein neuer George Bush an die Macht kommt.

Die USA (sie galten einst als eine Alternative für Europa) sollten ursprünglich keine Rolle als Weltführer spielen. Am Anfang war Amerika aufrichtig davon überzeugt, dass es ein moralischer Führer, ein moralisches Vorbild für jedermann war. Darin bestand seine Weltführung. Woran sich Obamas republikanische Gegner jetzt festhalten wollen, ist eine relativ neue Idee, die nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden ist - die Idee der physischen und damit auch der militärischen Führung.

Die USA mussten sich immerhin in zwei Weltkriege einmischen, und zwar wider ihren eigenen Willen. In beiden Fällen wurden sie zur Hilfe aufgefordert. So haben die Amerikaner daran geglaubt, dass „alle ein starkes Amerika brauchen." Und dass es immer so bleiben wird.

Umso mehr Respekt ruft Obamas „Führungsformel" hervor: wirtschaftliche, moralische und innovative Macht. Kein Wort sagte er von der militärischen Macht.

Man muss feststellen: Mit einem solchen US-Präsidenten hat man es gerne zu tun. Man sollte aber nicht sein Gegner werden. Denn Obama unterlaufen nur sehr wenige Fehler, jedenfalls in der Außenpolitik. Seine nationale Sicherheitsstrategie ist ein zusätzlicher Beweis dafür.

Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.

* Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 31. Mai 2010



Hier geht es zum vollständigen Text der Nationalen Sicherheitsstrategie 2010 (englisch): National Security Strategy 2010 (pdf-Datei)




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