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Unrechtsurteil kippen

Bradley Mannings Anwalt übergibt Weißem Haus Gnadengesuch seines Mandanten

Von Jürgen Heiser *

Am Mittwoch übergab der Hauptverteidiger des Whistleblowers Bradley Manning dem Weißen Haus ein offizielles Gnadengesuch seines Mandanten. US-Präsident Barack Obama wird darin aufgefordert, die Strafe des zum Gefreiten Degradierten im Wege eines präsidialen Gnadenakts zu verringern. Manning war zwei Wochen zuvor wegen Spionage und Diebstahls von Regierungsdokumenten vom Militärgericht Fort Meade zu 35 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Seine vorzeitige Entlassung auf Bewährung käme frühestens nach Verbüßung eines Drittels der Strafe in Betracht.

In einem Begleitbrief zum Gnadengesuch erklärte Verteidiger David Coombs, die Höhe der Strafe entspreche einer Tat, die den USA habe bewußt schaden sollen oder die aus finanzieller Gewinnsucht begangen wurde. Beides treffe jedoch auf seinen Mandanten nicht zu. Vielmehr habe Manning durch seine Wikileaks-Enthüllungen die Öffentlichkeit informieren und eine Diskussion über die Kriegsfolgen und die Entwertung menschlichen Lebens entfachen wollen.

In einem direkt an Obama gerichteten Brief begründete Manning seine Entscheidung, Hunderttausende Dokumente über die Kriege in Afghanistan und Irak zu veröffentlichen, mit seiner »Sorge um mein Land und die Welt, in der wir leben«. Er habe so handeln müssen, weil ihm während seiner Tätigkeit als Nachrichtenanalyst in Bagdad klargeworden sei, daß niemand die Verantwortung für den Tod unschuldiger Zivilisten übernehmen wollte, man statt dessen beschlossen habe, sich »hinter dem Schleier der nationalen Sicherheit zu verstecken« und alles für geheim zu erklären, »um nicht öffentlich Rechenschaft ablegen zu müssen«.

Anwalt Coombs bezeichnete die Enthüllungen seines Mandanten als »notwendig für eine heilsame Debatte über unser Vorgehen in Irak und Afghanistan, über die Situation der Gefangenen im US-Militärgefängnis Gunatánamo Bay und die weltweite US-Diplomatie«. Die gegen Manning verhängte hohe Strafe solle »unzweifelhaft eine abschreckende Wirkung auf künftige Whistleblower haben«. Sie schade dem Ansehen der Militärgerichtsbarkeit in der Öffentlichkeit. Dazu zitierte Coombs Ben Wizner, Leiter des »Projekts für Meinungsfreiheit, Privatsphäre und Technologie« der American Civil Liberties Union, der das Urteil gegen Manning scharf kritisiert hatte. »Ein Rechtssystem, das nicht unterscheidet zwischen Enthüllungen gegenüber der Presse im öffentlichen Interesse und Verrat an der Nation«, produziere nicht nur Unrechtsurteile, sondern enthalte der Öffentlichkeit essentielle Informationen vor, »die notwendig sind für eine demokratische Rechenschaftspflicht«, so Wizner.

Das Gnadengesuch wird flankiert von einer an das Weiße Haus gerichteten Petition, die bislang von rund 23000 Unterstützern gezeichnet wurde, darunter zahlreiche Prominente aus Kunst und Politik. Die Initiatoren wollen noch im laufenden Monat ihr Ziel von hunderttausend Unterschriften erreichen. Amnesty International unterstützt die Petition und erklärte, Manning gebühre Gnade, da einige der von ihm enthüllten Dokumente klar »auf mögliche Verletzungen der Menschenrechte und Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht« hindeuteten.

Manning befindet sich nach Auskunft seines Anwalts derzeit in der Eingliederungsphase im Militärgefängnis von Fort Leavenworth, Kansas, wo er sich auf eine hormonelle Geschlechtsumwandlung vorbereite. Kurz nach dem Urteil hatte der 25jährige durch seinen Anwalt erklären lassen, er nutze diesen Einschnitt, künftig »sein wahres Ich« als Frau zu leben und den Vornamen Chelsea anzunehmen (jW berichtete). Coombs erklärte, Chelsea Manning bitte ihre Unterstützer darum, ihre neue Geschlechtsidentität zu respektieren. Aus diesem Grund hatte sich kürzlich auch das bisherige »Bradley Manning Support Network« in »Private Manning Support Network« umbenannt. In allen offiziellen und juristischen Angelegenheiten, wie dem Gnadengesuch und bei Postzusendungen, werde man jedoch weiterhin den Namen »Gefreiter Bradley Manning« nennen müssen.

Petition: pardon.bradleymanning.org

* Aus: junge welt, Freitag, 6. September 2013


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