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Depression statt Erholung

Mehr Schein als Sein – Washington schönt Wirtschaftsstatistik: Supermacht USA rechnet sich mit tatkräftiger Hilfe der eigenen Notenbank reich

Von Rainer Rupp *

Die Supermacht lebt auch vom schönen Schein. Laut staatlichem Büro für Ökonomische Analysen (BEA) in Washington ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der USA im dritten Quartal dieses Jahres inflationsbereinigt um 196 Milliarden Dollar, bzw. 2,8 Prozent gestiegen. Nach 2,5 Prozent im zweiten Quartal. Kein Wunder, daß die großen Medien allenthalben »Fortschritte« bei der »wirtschaftlichen Erholung« und die Überwindung der Krise bejubeln. Davon zeugen angeblich auch die ständig neuen Rekorde an den Finanzmärkten. Allerdings paßt das Bild vom Aufschwung so gar nicht zu dem, was im Ergebnis der realen Wirtschaft geschieht: Die Armen werden weiterhin immer ärmer, und große Teile der Mittelschicht sind vom Absturz bedroht. Auch der US-Arbeitsmarkt zeigt keine realen Verbesserungen.

Die offiziell sinkende Arbeitslosigkeit ist Resultat schönfärberischer »statistischer Reformen«. Mit ihrer Hilfe fallen immer mehr arbeitslose Menschen aus der Statistik heraus. Ist womöglich das Wirtschaftswachstum genauso Illusion wie die sinkenden Arbeitslosenzahlen? Alles deutet darauf hin. So haben diese Woche die Ökonomen Karl Denninger (»Market Ticker«) und der bekannte Kritiker der US-Notenbank (Federal Reserve; Fed), Bill Still, darauf hingewiesen, daß auch die offiziellen Wachstums­angaben Resultate buchhalterischen Trickserei sind.

Und das geht so: Im Rahmen ihrer Geldpolitik des Quantitative Easing (quantitative Erleichterung, kurz QE) injiziert die Fed monatlich 85 Milliarden Dollar in die Wirtschaft. Wo man früher Gelddruckmaschinen brauchte, schafft die Notenbank heute diese Milliarden aus dem Nichts, per Klick mit der Maus. Mit dem »geschaffenen« Geld kauft sie von den Banken monatlich für 45 Milliarden Dollar US-Schatzbriefe und für 40 Milliarden Hypothekenschuldscheine. Das Geld aus dem Computer wird also sofort für eine realwirtschaftliche Transaktion ausgegeben. Damit geht es in die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, und somit in die Berechnung des BIP ein.

Soll statt des fiktiven das tatsächliche Wirtschaftswachstum der USA im dritten Quartal berechnet werden, muß man die QE-Geldspritzen von dreimal 85 Milliarden Dollar (255 Milliarden) von den 196 Milliarden des vermeintlichen BIP-Zuwachses im selben Quartal abziehen. Das Ergebnis: Minus 59 Milliarden Dollar. Was bedeutet, die US-Wirtschaft ist im dritten Quartal nicht um die offiziellen 2,8 Prozent real gewachsen sondern um über 0,8 Prozent geschrumpft. Damit stellen sich die »Zuwächse« der letzten vier Quartale als Rückgänge heraus. Nach geltender Definition nennt man zwei aufeinanderfolgende Quartale mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung Rezession, vier negative Quartale hintereinander eine Depression.

Doping mit Fed-Geld

Tatsächlich wird das ausgewiesene Wachstum der US-Wirtschaft in den letzten Jahren nur dank der größten Geldspritze in der Geschichte der Menschheit erzielt. Seit Beginn der Krise befindet sich die QE-Politik inzwischen in der dritten Auflage. Jedes Mal, nachdem die Vorgängerprogramme angesichts scheinbar wirtschaftlicher Erholung eingestellt worden waren, drohte die US-Wirtschaft wieder zusammenzubrechen. Die Fed mußte erneut ihre Gelderzeugungscomputer anwerfen. So hat die Fed seit 2007 den Banken für über drei Billionen (3000 Milliarden) Dollar US-Schatzbriefe und Immobilienhypotheken abgekauft – und so »Wachstum« generiert. Alle großen Zentralbanken der westlichen Welt, von Tokio über London bis zur Europäischen Zentralbank in Frankfurt am Main wetteifern derzeit mit der QE-Politik, weil diese zugleich ermöglicht, die Leitzinsen auf fast Null Prozent herunterzufahren.

Letzteres entlastet die stark überschuldeten Regierungen bei den Zinsenzahlungen erheblich. Allerdings wird durch die extrem niedrigen »Geldkosten« allen Sparern oder Inhabern von Lebensversicherungen das Fell über die Ohren gezogen. Nach Abzug der Inflation haben seit Beginn der Krise 2007 deren Ersparnisse mindestens fünf bis sieben Prozent real an Welt verloren. Das ist Resultat einer auf Hochtouren laufenden Umverteilungsmaschine, die nur eine Richtung kennt: Von unten nach oben. Große Gewinner sind Banken, Hedgefonds und andere Megaspekulanten, die Zugang zum Billiggeld der Notenbanken haben. Jeder Normalbürger indes muß derzeit seiner Bank 13 Prozent und mehr für einen Überziehungskredit bezahlen.

Staatsschuld steigt

Derweil wachsen in den USA trotz »Konjukturerholung« die Staatschulden weiter. Das Haushaltsdefizit der Obama-Administration belief sich im jüngst zu Ende gegangenen Fiskaljahr 2012/2013 auf über 6,3 Prozent des BIP, verglichen mit 8,6 Prozent des BIP im Vorjahr. Der Rückgang war jedoch nicht der »Erholung« geschuldet, sondern hauptsächlich den höheren Steuereinnahmen. Die kamen dadurch zustande, daß die Lohnsteuererleichterungen, welche zum Höhepunkt der Krise zwecks Konjunkturförderung eingeführt worden waren, zum Beginn des Fiskaljahres nicht verlängert wurden.

Als im April in den USA eine Diskussion über die Reduzierung der monatlichen QE-Geldspritzen stattfand, brachen weltweit panikartig die Kurse an den Finanzmärkten ein. Allen schien klar, daß dann die Fiktion von der globalen wirtschaftlichen Erholung nicht mehr aufrechtzuerhalten wäre. Sofort wurde die Diskussion eingestellt, ein Ende der QE-Politik ist nicht in Sicht. Es werden also weiter falsche Zahlen serviert. Das Wunderbare bei QE ist nämlich, je mehr Schatzbriefe die Zentralbank mit aus dem Nichts geschaffem Geld ankauft, desto größer das Wirtschaftswachstum, je mehr Schulden, desto höher die Börsenkurse, je höher deren Indizes, umso saftiger die Gewinne für die Reichen.

* Aus: junge welt, Mittwoch, 13. November 2013

Rainer Rupp

referiert auf dem Friedenspolitischen Ratschlag 2013 zum Thema:
NSA: Geheimdienste in der Neuen Welt(kriegs)ordnung
Workshop C5 am Sonntagvormittag 8. Dezember 2013.
Zum ganzen Programm des Friedensratschlags.




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