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Scharia statt Assad

Syrien: Islamistische Aufständische trennen sich von oppositioneller "Nationaler Koalition". Neuer Staat auf rein religiöser Grundlage angestrebt

Von Karin Leukefeld *

Das Lager der Aufständischen in Syrien zersplittert weiter. 13 islamistische Kampfgruppen haben sich in einer gemeinsamen Erklärung von der oppositionellen »Nationalen Koalition« getrennt. Das von den »Freunden Syriens« – USA, EU und Golfstaaten – als »legitime Vertretung der Syrer« anerkannte Bündnis vertrete sie nicht, erklärte Abdulaziz Salame von der »Tawid-Brigade« in einer Videobotschaft, aus der die Nachrichtenagentur AFP am Dienstag zitierte.

Das Internetportal Syria Comment zitierte vier zentrale Punkte der Erklärung. Demnach sollten die militärischen und zivilen Kräfte ihre Reihen in einer »islamischen Struktur« zusammenschließen, die auf der Scharia basieren solle. Diese wiederum sei »die einzige Quelle jeder Gesetzgebung«. Man fühle sich nur durch diejenigen vertreten, »die ihr Leben und ihr Sterben der Revolution geopfert« hätten. Das schließe die Vertretung durch Exilgruppen aus. Explizit lehnt Salame die von der »Nationalen Koalition« eingesetzte »Übergangsregierung« ab, die mit dem kürzlich gewählten Ahmed Tomeh bereits ihren dritten Präsidenten hat, ohne sich in Syrien aufzuhalten.

Syria Comment zufolge stellen die 13 Gruppen die stärksten Kampfverbände unter den Aufständischen in Syrien. Nach eigenen Angaben verfügen sie über mehr als 50000 Kämpfer politische Beobachter gehen von »einigen zehntausend« aus. Einige der Gruppen kooperierten bisher mit dem vom Westen und den Golfstaaten ins Leben gerufenen »Obersten Militärrat der Freien Syrischen Armee«. Andere, unter ihnen die zur Al-Qaida gezählte Al-Nusra-Front, werden als »islamistische Hardliner« beschrieben. Damit dürften die »moderaten« Kräfte unter den Aufständischen weiter marginalisiert werden. Auch die von den »Freunden Syriens« bisher aufgebauten Strukturen dürften ihre Bedeutung verlieren.

Erst am Sonntag hatte der Vorsitzende der »Nationalen Koalition«, Ahmad Jarba, erklärt, die Koalition sei bereit zur Teilnahme an den in Genf geplanten Friedensgesprächen. Voraussetzung sei, daß diese zur Einsetzung einer Übergangsregierung »mit voller Exekutivmacht« führen. Bisher hatte die »Nationale Koalition« jede Teilnahme an der Genf-II-Konferenz von einem Rücktritt von Präsident Baschar Al-Assad abhängig gemacht. In Paris hatta Jarba nach Gesprächen mit dem französischen Außenminister Laurent Fabius nun gesagt, man sei nicht gegen Gespräche, fühle sich aber den Prinzipien der Revolution verpflichtet. Eine politische Lösung müsse den Zielen entsprechen, für die der Aufstand begonnen habe. Die Nachrichtenagentur Reuters zitierte demgegenüber ein hochrangiges Mitglied der islamistischen Al-Sahaba-Brigaden, die eigenen Angaben zufolge im Umland von Damaskus operieren. Moaz Al-Agha lehnte demnach Gespräche ab und forderte die Mitglieder der Koalition zum Rücktritt auf.

Der Vorsitzende der libanesischen Hisbollah, Hassan Nasrallah, hatte am Montag die Unterstützerstaaten der Aufständischen in Syrien zum Einlenken aufgerufen. In einer vom Fernsehen übertragenen Rede wandte sich Nasrallah direkt an Saudi-Ara­bien, die Golfstaaten und die Türkei: »Überdenken Sie Ihre Positionen. Die Lage in Syrien hat sehr ernste Ausmaße angenommen. Sie setzen auf eine gescheiterte militärische Option, doch die Lösung muß politisch sein, ein politischer Dialog.« Das Festhalten an einer militärischen Option werde Syrien und andere Länder verwüsten.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 26. September 2013


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