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Wie begossene Pudel

Krieg in Syrien: Die deutschen Medien haben sich mal wieder bis auf die Knochen blamiert. Erst schrieben sie Assads Ende herbei, jetzt sehen sie ihn auf der Siegerstraße

Von Gerrit Hoekman *

Der Kollegin von Spiegel online war am Dienstag offenbar martialisch zumute. Die syrische Kleinstadt Al-Kusair an der libanesischen Grenze, könnte sich im nachhinein als »Stalingrad« für die Assad-Gegner herausstellen, schrieb sie. Die strategisch wichtige Rebellenhochburg zwischen den beiden Millionenstädten Damaskus und Homs war kurz zuvor von der syrischen Armee und verbündeten Milizen nach einem Jahr im Handstreich zurückerobert worden.

Wer den Artikel liest, reibt sich die Augen: Hatte die selbe Autorin nicht vor ein paar Wochen noch vehement Baschar al-Assads baldiges Ende vorhergesagt? Hatte sie nicht begeistert über die »Erfolge« der Rebellen geschrieben? Von sympathischen Aktivisten berichtet, wenn spaßfreie islamische Fundamentalisten gemeint waren? An der syrischen Regierung und dem Präsidenten kein gutes Haar gelassen? Ihn als blutigen Diktator und realitätsfremden Maulhelden hingestellt?

Auch die Redaktionsleitung von Spiegel Online hat sich wohl die Augen gerieben. Vorsichtshalber wurde die Überschrift nach einer guten halben Stunde ausgetauscht gegen: »Assads neue Strategie trifft Rebellen«.

Nun also die komplette Kehrtwende. Nicht nur beim Spiegel, sondern auch bei anderen Zeitungen und Sendern. Die Kursänderung kommt so überraschend, daß man sich fragt: Will uns da jemand für dumm verkaufen? Eine militärische Lage ändert sich doch nicht komplett über Nacht. Und aus einer Armee, die gestern angeblich noch kurz davor war, in alle Himmelsrichtungen davonzulaufen, wird nicht von heute auf morgen ein regimetreues Bollwerk.

Wie es der Zufall so will, reißt die deutsche Presse das Steuer herum, genau einen Tag bevor der Bundesnachrichtendienst am gestrigen Mittwoch ein düsteres Bild von der Lage der Aufständischen zeichnete. Der jüngste Bericht zur Situation in Syrien (wenn er denn diesmal stimmt) ist ein Zeugnis jämmerlichen Scheitern der westlichen Geheimdienste. Oder eines abgrundtiefen Zynismus, falls sie die Öffentlichkeit mit Absicht in die Irre geführt haben und die Rebellen sehenden Auges gegen einen mächtigen Gegner aufgehetzt und Syrien damit in den Abgrund eines blutigen Krieges getrieben haben.

Womit wir wieder beim Gros der deutschen Medien wären. Sie haben jeder noch so dubiosen Quelle gierig aus der Hand gefressen, solange die Informationen nur das Bild eines blutrünstigen Irren in Damaskus zeichneten und einer von Sieg zu Sieg eilenden heroischen Oppositionsarmee. Wer anderer Meinung war, wurde ruckzuck als Diktatoren-Freundchen geoutet. Als Parteigänger Assads, des neuen politischen Bad Boy des Boulevards. Allein die leise Frage galt schon als Blasphemie, ob nicht ein Regime von der Art der syrischen Baath-Partei am Ende erst mal besser wäre für die Freiheit im Land als die Herrschaft einer Bande durchgeknallter religiöser Fanatiker.

Und jetzt? Jetzt steht die deutsche Presse im wahrsten Sinne des Wortes vor den Trümmern ihrer Berichterstattung. Die Rebellen hochgejubelt, Assad maßlos unterschätzt, alle mahnenden Stimmen in Zweifel gezogen, teilweise sogar lächerlich gemacht – und nun stellt sich heraus, daß die Kritiker des Medien-Mainstreams richtig lagen. Was übrigens kein Wunder ist, wenn man eine Korrespondentin an Ort und Stelle hat. Nicht in Antalya, Beirut, Amman oder Kairo, sondern mittendrin in Damaskus. Am besten noch eine, die arabische Zeitungen lesen und sich ohne Dolmetscher mit den Leuten auf der Straße unterhalten kann. Da erfährt man einiges, was anderen durch die Lappen geht.

Karin Leukefeld, die für die junge Welt aus Damaskus berichtet, ist seit Beginn des Aufstands gegen Assad die meiste Zeit in der syrischen Hauptstadt. Während der Rest der Medien fortwährend behauptet, Syrien lasse keine Journalisten ins Land, berichtet Leukefeld regelmäßig aus Damaskus. Der Tagesspiegel unterstellte ihr deshalb quasi Kumpanei mit dem Assad-Regime. Was natürlich Quatsch ist – ein Berliner Journalist, der die Handynummer des deutschen Innenministers hat, wird auch nicht gleich zum Pressesprecher der Bundesregierung. Man wird den Verdacht nicht los, daß die meisten Redaktionen gar nicht wissen wollen, was in Damaskus passiert. Sie lassen ihre Reporter, wenn überhaupt, lieber mit den Rebellen durch Aleppo ziehen, als sich auch mal um die andere Seite im Konflikt zu kümmern, um die syrische Regierung und ihr Innenleben. Oder um die Gründe, warum viele Syrer bis heute zu Baschar al-Assad halten.

Jetzt stehen die meisten Medien wie begossene Pudel da. Versuchen nonchalant über die Tatsache hinwegzuschreiben, daß sie in den letzten zwei Jahren ihrem Auftrag nicht nachgekommen sind, den Krieg in Syrien neutral zu betrachten. Sie tun fast empört, daß »der Geheimdienst so daneben gelegen hat«. Selbst schuld, möchte sagen. Niemand hindert Journalisten daran, sich eine eigene Meinung zu bilden. Dazu reicht es schon, unvoreingenommen die Berichte einer in Syrien recherchierenden Journalistin zu lesen. Das kommt auch billiger, als ahnungslose Geheimagenten loszuschicken.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 23. Mai 2013


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