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Was wollen Syriens Kurden?

Asya Abdullah, Vorstandsmitglied des Hohen Kurdischen Rates in Syrien *



nd: Was ist der Hohe Kurdische Rat für ein Gremium?

Abdullah: Das ist ein Zusammenschluss der Kurdischen Volksräte in Syrien, die von der Partei der Demokratischen Einheit (PYD) aufgebaut wurden, sowie des Nationalen Volksrates, einem Verband 15 weiterer syrisch-kurdischer Parteien unterschiedlicher politischer Ausrichtung. Diese Parteien haben sich in der nordirakischen Stadt Erbil darauf geeinigt, gemeinsam für die Stabilität der kurdischen Region Syriens und die Rechte der dortigen Bevölkerung zu arbeiten, und den Hohen Kurdischen Rat gegründet.

In Deutschland ist die PYD, deren Ko-Vorsitzende Sie sind, nur wenig bekannt. Was sind ihre Ziele?

Die PYD sieht sich in der Verantwortung für die kurdische Bevölkerung Syriens (Westkurdistans). Sie wird oft fälschlicherweise als Ableger der PKK bezeichnet, weil sie ebenfalls eine basisdemokratische Gesellschaft anstrebt. Wir vertreten einen Dritten Weg für die Entwicklung Syriens und sehen uns als Alternative zum Assad-Regime wie auch zu den aus dem Ausland beeinflussten Kräfte wie dem Syrischen Nationalrat oder der Freien Syrischen Armee (FSA). Unser Hauptziel ist ein friedliches und demokratisches Zusammenleben aller Ethnien und Religionsgruppen. In diesem Rahmen arbeiten wir mit der demokratischen Opposition zusammen. Die PYD wird von etwa 70 Prozent der drei Millionen Kurden in Syrien unterstützt. Ein Schwerpunkt unserer Arbeit liegt zudem auf der Gleichberechtigung der Frau. Wir haben eine 40-Prozent-Quote für sämtliche Gremien und bereits eine Vielzahl von Frauenbildungszentren errichtet. Die Exilopposition, die sich in Doha neu formiert hat, besteht fast ausschließlich aus Männern. Eine derart patriarchale Herangehensweise zieht sich durch die gesamte Politik der sogenannten Rebellen.

Im Gegensatz zu Bürgerkrieg und Chaos in weiten Teilen Syriens herrscht in den kurdischen Provinzen weitgehend Ruhe. Woran liegt das?

Die PYD arbeitet seit Jahren am Aufbau basisdemokratischer Strukturen. Im Rahmen des Aufstands gegen die Regierung von Baschar al-Assad haben wir in weiten Teilen der kurdischen Provinzen die Kommunalverwaltungen, meist ohne größere Auseinandersetzungen mit dem Militär, in Form von Volksräten übernommen. Wir beziehen die Bevölkerung in die Verwaltung und Gestaltung des Alltags, in die Rechtsprechung und den Aufbau von Bildungsorganisationen ein. Um Stabilität zu garantieren, haben wir bewaffnete Volksverteidigungskräfte.

Kleingruppen der FSA versuchen seit Wochen, die PYD in den Bürgerkrieg hineinzuziehen. Mit welcher Absicht?

Es gibt Belege dafür, dass die meisten dieser Gruppen von der Türkei unterstützt werden. Die türkische Regierung will die Entwicklung einer demokratischen und selbstbestimmten kurdischen Region in Syrien verhindern. In Aleppo und Efrin haben diese Gruppen kurdische Stadtteile angegriffen und Zivilisten getötet. Immer wieder kommt es auch zu Entführungen und Terror gegen die Landbevölkerung. Für uns wird damit deutlich, dass vom Ausland her versucht wird, den Bürgerkrieg auch dadurch zu forcieren, dass ethnische Gruppen gegeneinander ausgespielt werden, auch in den kurdischen Regionen.

Gespräch: Martin Dolzer

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 22. November 2012


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