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Die Karawane zieht weiter

Syrien weist Kritik aus Europa an Assad-Rede zurück

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

Syriens Außenminister Walid Al-Muallem hat mit scharfer Kritik die Reaktionen von EU-Politikern auf die Rede von Präsident Assad vom Montag zurückgewiesen. Bei einer Pressekonferenz am Mittwoch in Damaskus warnte er, die Welt sei größer als Europa. Syrien werde sich in Zukunft den Staaten annähern, die weiterhin an Handel und politischen Beziehungen mit seinem Land interessiert seien. Ein namentlich nicht genannter EU-Beamter kündigte daraufhin weitere Sanktionen gegen sieben Einzelpersonen und vier Unternehmen in Syrien an, Namen nannte er nicht. Eine Entscheidung darüber wurde für Donnerstag abend erwartet. Damit stehen künftig 34 Syrer und syrische Unternehmen auf der Sanktionsliste der EU, darunter auch Präsident Baschar Al-Assad. Die Betroffenen dürfen in europäische Länder nicht einreisen, mögliches Vermögen auf europäischen Banken wird eingefroren. Ein ebenfalls verhängtes Embargo für Waffen und Rüstungsgüter dürfte hingegen weitgehend verpuffen, da Syrien seit Jahren keine Waffen aus Europa erhält.

Auch UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon stimmte in den Chor der Syrienkritiker ein. Er halte das Reformprogramm von Präsident Assad für »wenig glaubwürdig«, zumal sich an den gewaltsamen Auseinandersetzungen nichts geändert habe. Positiv bewertete Ban immerhin die von Assad verkündete Generalamnestie und die Ankündigung eines nationalen Dialogs, der »alle einbeziehen« müsse. Eine einstimmige Resolution des UN-Sicherheitsrates gegen das arabische Land »wäre hilfreich«, so der Generalsekretär. Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Portugal und die USA arbeiten weiter an einem entsprechenden Entwurf, aber Rußland hat bereits sein Veto angekündigt, auch China lehnt eine gegen Syrien gerichtete Resolution im UN-Sicherheitsrat ab.

Unter Syrern gab es gemischte Reaktionen auf die Erklärungen ihres Außenministers. Etliche Gesprächspartner freuten sich über dessen forsche Aussagen in Richtung Westen, denn er habe Europa die richtige Antwort gegeben. »Warum sollen wir mit Europa Beziehungen haben, wenn man selbst unserem Präsidenten die Einreise nach Europa verweigert«, sagte ein Mann gegenüber jW. Andere kritisierten hingegen die wenig diplomatische Reaktion Muallems auf die Kritik aus Europa. Dazu hatte er mit dem auch westlichen Politikern nicht unbekannten Sprichwort »Die Hunde bellen, die Karawane zieht weiter« reagiert.

Die europäisch-syrischen Beziehungen hatten sich 2008 deutlich gebessert, nachdem die EU erkannt hatte, daß es ohne Damaskus keinen Frieden in Nahost geben kann. Präsident Assad wurde von seinem Amtskollegen Nicolas Sarkozy im Sommer sogar zum Nationalfeiertag nach Paris eingeladen, hochrangige westliche Politiker besuchten Syrien. Das Land nahm die vom Westen und von den Libanesen gewünschten diplomatischen Beziehungen zum Libanon auf, Botschafter wurden ausgetauscht. Viele Syrer profitierten von dem syrisch-europäischen Frühling, der Tourismus boomte. Später wurde bekannt, daß die Türkei in dieser Zeit bereits Gespräche zwischen Israel und Syrien vermittelt hatte, die allerdings mit Beginn des israelischen Krieges gegen Gaza Ende 2008 abrupt abgebrochen wurden. Das Ziel dieser Umarmungsversuche aus Europa war, Syrien von seinem strategischen Partner Iran zu entfremden und zu bewegen, die Unterstützung der palästinensischen Hamas und der libanesischen Hisbollah einzustellen.

Mit den anhaltenden gewaltsamen Auseinandersetzungen in Syrien hat sich das Blatt gründlich gewendet. Die libanesische Tageszeitung An Nahar berichtet unter Berufung auf Botschaftsquellen, der US-Botschafter in Damaskus, Robert Ford, habe syrische Oppositionelle und Vertreter der Industrie- und Handelskammer in Damaskus getroffen. In einer Analyse der türkischen Denkfabrik ORSAM wird gemutmaßt, daß die Türkei »aktiv an einer Ablösung des Baath-Regimes in Syrien« arbeiten könnte. Eine »Schutzzone für Zivilisten auf syrischem Boden« und militärischer Druck seien nicht ausgeschlossen, hieß es in der türkischen Zeitung Zaman. Und in Israel wird spekuliert, die libanesische Hisbollah könne einen Krieg gegen Israel beginnen, um »den Druck auf Präsident Assad zu verringern«.

* Aus: junge Welt, 24. Juni 2011


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