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Propaganda statt Skepsis

Kritische Journalisten beklagen Schuldzuschreibung nach Massaker im syrischen Hula noch vor Beginn einer Untersuchung

Von Karin Leukefeld *

Westliche Staaten nutzen die Morde von Hula als Vorwand für eine mögliche Intervention in Syrien. Zu diesem Schluß kommt der britische Journalist Neil Clark im Nachrichtensender Russia Today. Clark, der u.a. für den britischen Guardian schreibt, verwies auf das Massaker von Racak, das 1999 als Rechtfertigung für den NATO-Angriff auf Jugoslawien diente, und auf angebliche Massaker im ostlibyschen Bengasi, die den UN-Sicherheitsrat 2011 veranlaßten, dem Krieg gegen Libyen zuzustimmen. Seit 15 Monaten versuchten die westlichen Staaten mit Unterstützung der Golfstaaten, die Führung in Damaskus zu stürzen, so Clark. Hula sei wie ein »déjà vu, das Gleiche wie 1999 und 2011«. Daß westliche Regierungen und UN-Institutionen wie der Menschenrechtsrat Schuldzuweisungen über das Massaker von Hula aussprächen, bevor es untersucht worden sei, sei unakzeptabel.

Rußland und China sollten ihren Ton gegenüber dem Westen verschärfen, forderte Clark: »Der einzige Weg, um eine friedliche Lösung in Syrien zu finden ist, wenn die westlichen Großmächte und Staaten wie Katar und Saudi Arabien den Rebellen sagen: Schluß! Und keine Waffen mehr liefern.« Rußland und China müßten ein Ende der Rebellenbewaffnung fordern »und sagen: Es gibt einen politischen Prozeß in Syrien, eine neue Verfassung, Wahlen, es gibt einen demokratischen Weg. Rußland und China müssen den Westen deutlicher auffordern, seine Unterstützung der Rebellen zu stoppen.«

Fragen über das, was in Hula am 25. Mai geschehen ist, stellt auch der Reporter Asad Abu Khalil von der libanesischen Zeitung Al Akhbar (31.5.2012). Niemand wisse, was genau passiert sei, außer, daß unschuldige Zivilisten getötet wurden, fast ausschließlich Angehörige der Familien Abd Al-Razzak und Al-Sayed. Regierung und bewaffnete Aufständische beschuldigten sich gegenseitig, schreibt Abu Khalil, der beide Seiten als »gewohnheitsmäßige Lügner« bezeichnet. Er frage sich aber, warum westliche Medien seit Beginn der Aufstände in Syrien »Berichte von Entführungen und Morden von Zivilisten durch Banden der Freien Syrischen Armee ignoriert« hätten. Warum würden »die Geschichten der syrischen Exilopposition nie hinterfragt«? So habe diese Exilopposition zunächst behauptet, alle Zivilisten in Hula seien von der syrischen Armee getötet worden. Erst als UN-Beobachter vor Ort gewesen seien und erklärt hätten, daß weniger als 20 Personen durch Armeefeuer gestorben und »die meisten aus nächster Nähe ermordet« worden seien, hätten sie zurückgerudert. Warum habe man es so darstellen wollen, als seien in Hula Sunniten von Alawiten (Schiiten) ermordet worden, obwohl eine große Zahl der Toten Schiiten waren? Gab es konfessionelle Morde in dem Gebiet vor dem Massaker? Kein westliches Medium habe berichtet, daß der bekannte Oppositionelle und Rechtsanwalt Haytham al-Malih, Mitglied im Syrischen Nationalrat, im Gespräch mit der Zeitung Asharaq al-Awsat erklärt habe, daß er die Entführung von schiitischen Pilgern aus dem Libanon am 22. Mai durch Kämpfer der »Freien Syrischen Armee« unterstütze und die Entführer aufgefordert habe, die Geiseln nicht freizulassen (siehe auch jW vom 24. Mai). Die Mörder von Hula seien nach Angaben von Augenzeugen maskiert gewesen und hätten einen »schiitischen Kampfspruch« auf ihren Stirnbändern getragen, weswegen man sie als »Schabiha«-Milizen Baschar Al-Assads identifiziert habe. Ein haltbarer Beweis sei das nicht, so Abu Khalil. Ohne eine genaue Untersuchung wisse man nicht, was in Hula geschehen sei, so der Reporter. Skepsis sei angesagt, zumal westliche Regierungen das Massaker nutzten, eine Militärintervention in Syrien zu rechtfertigen.

* Aus: junge Welt, Donnerstag 7. Juni 2012

Zweifel auch in der FAZ

Rainer Hermann berichtete am 7. Juni aus Damaskus über das neuerliche Massaker (vom 6. Juni) nahe Hama, bei dem mindestens 55 Menschen getötet wurden ("Abermals Massaker in Syrien" [externer Link], FAZ, 07.06.2012). Er nimmt die gegenseitigen Vorwürfe von Regierung und Opposition, die das Massaker jeweils der anderen Seite in die Schuhe schoben, zum Anlass, noch einmal über das vorhergehende Massaker von Hula am 25. Mai zu sprechen. Seine Schilderung stützt sich ebenfalls ajuf Oppositionskreise, kommt aber doch zu einem frappierend anderen Ergebnis als die bisherigen Berichte in den Mainstream-Medien.

Nach Hermann hätten "syrische Oppositionelle, die aus der Region kommen", in den vergangenen Tagen "aufgrund glaubwürdiger Zeugenaussagen" den wahrscheinlichen Tathergang in Hula rekonstruieren können. Hermann weiter: "Ihr Ergebnis widerspricht den Behauptungen der Rebellen, die die regimenahen Milizen Schabiha der Tat beschuldigt hatten."

Und so könnte das Massaker von Hula nach diesen Berichten wirklich gewesen sein: Die Kämpfe fanden nach dem Freitagsgebet am 25. Mai statt; sie setzten ein, "als sunnitische Rebellen die drei Straßenkontrollen der syrischen Armee um Hula herum angriffen." (Diese Kontrollpunkte, so wird weiter mitgeteilt, dienten dazu, die alawitischen Dörfer um das überwiegend sunnitische Hula vor Anschlägen zu schützen.)
Eine von den Rebellen angegriffene Straßenkontrolle rief Einheiten der syrischen Armee zu Hilfe, die 1500 Meter entfernt eine Kaserne unterhält "und umgehend Verstärkung schickte". Die darauf folgenden Kämpfe haben nach den Augenzeugenberichten 90 Minuten gedauert und haben Dutzenden Soldaten und Rebellen das Leben gekostet. "Während der Kämpfe waren die drei Dörfer von Hula von der Außenwelt abgeriegelt."

Während dieser 90 Minuten muss auch das Massaker geschehen sein. Wer waren die Opfer? Rainer Hermann zählt auf:
"Getötet worden seien nahezu ausschließlich Familien der alawitischen und schiitischen Minderheit Hulas, dessen Bevölkerung zu mehr als neunzig Prozent Sunniten sind. So wurden mehrere Dutzend Mitglieder einer Familie abgeschlachtet, die in den vergangenen Jahren vom sunnitischen zum schiitischen Islam übergetreten sei. Getötet wurden ferner Mitglieder der alawitischen Familie Shomaliya und die Familie eines sunnitischen Parlamentsabgeordneten, weil dieser als Kollaborateur galt."

Und nun kommt das eigentliche Skandalon, das so sehr an die Racak-Lüge von 1999 erinnert (womit auf den NATO-Krieg gegen Jugoslawien propagandistisch eingestimmt wurde). "Unmittelbar nach dem Massaker hätten die Täter ihre Opfer gefilmt, sie als sunnitische Opfer ausgegeben und die Videos über Internet verbreitet."

Und so wurde das Massaker wieder einmal der Regierung angelastet. Der Aufschrei der westlichen Regierungen und in den meisten Medien beweist, dass diese Strategie aufgegangen ist. Wieder einmal mordete das verhasste Assad-Regime. Die Stimmen, die eine Intervention der "internationalen Gemeinschaft" verlangen, werden immer lauter.
Pst




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