USA sortieren Syriens Opposition
Konferenz in Doha soll neue Führung des Nationalrates bestimmen
Von Karin Leukefeld, Damaskus *
Die syrischen Regierungsgegner sind
zerstritten und schwer berechenbar,
auch für ihre Gönner. Die USA wünschen
sich eine andere Opposition.
US-Außenministerin Hillary Clinton
ist mit dem oppositionellen Syrischen
Nationalrat (SNR) nicht
mehr zufrieden. Die Führung des
SNR müsse ausgetauscht und erneuert
werden, sagte Clinton während
eines Besuchs in Kroatien am
Mittwoch. Bei einer Konferenz des
SNR, die am Sonntag in der katarischen
Hauptstadt Doha beginnt,
soll der Rat sich erweitern und
neue Gruppen aufnehmen. Die etwa
400 Delegierten sollen eine
neue Führung wählen.
Dem SNR komme nicht mehr
die allein führende Rolle in der syrischen
Opposition zu, vor allem
müssten »diejenigen, die an der
syrischen Front kämpfen und täglich
für die Freiheit sterben«, einbezogen
werden. Die Opposition
dürfe nicht länger von Leuten repräsentiert
werden, »die viele gute
Eigenschaften haben aber in vielen
Fällen seit 20, 30 oder 40 Jahren
nicht mehr in Syrien« gewesen
sind, sagte Clinton. Ihr Ministerium
werde Namen vorschlagen, die
in einer neuen Führung an prominenter
Stelle vertreten sein
müssten. Der Rat müsse ein deutliches
Zeichen gegen die wachsende
Zahl islamistischer Kampfgruppen
in Syrien setzen. Der SNR
war im Sommer 2011 mit der Unterstützung
der USA, Frankreichs,
der Türkei, Saudi-Arabiens und
Katars ins Leben gerufen worden.
Die EU machte den Rat Anfang
dieses Jahres zu ihrem anerkannten
Gesprächspartner.
Andere syrische Oppositionelle
kritisieren den SNR dafür, dass er
zu sehr von der Muslimbruderschaft
kontrolliert wird. Wegen
seiner finanziellen und politischen
Abhängigkeit von den oben genannten
Staaten und weil die
meisten Mitglieder nicht in Syrien
leben, ist der SNR bei weiten Teilen
der Bevölkerung unglaubwürdig
oder schlicht unbekannt. Weil
die Tagungen des SNR sich meist
in Fünf-Sterne-Hotels abspielen,
trägt der Rat bei nicht wenigen den
Beinamen »Fünf-Sterne-Opposition«.
Entsprechend einem schon in
Irak gescheiterten Modell wollen
die USA auch die syrische Opposition
nach ethnischen und religiösen
Gruppen sortieren. Zudem
sollen bekannte Personen einbezogen
werden wie der Unternehmer
und frühere Abgeordnete Riad
Seif. Verschiedenen Aussagen
zufolge könnte Seif Chef einer vom
SNR gebildeten Übergangsregierung
werden. Er wurde bereits von
Außenminister Guido Westerwelle
in Berlin empfangen.
Innerhalb des SNR sehen manche
aber nun, nach der Eimischung
der USA, ihre Vormachtstellung
schwinden. Zuhair Salem,
Sprecher der syrischen Muslimbruderschaft
in London, sprach
von »direkter Bevormundung«.
Die USA wollten »die syrische Opposition
ihren speziellen Wünschen
entsprechend anfertigen«.
* Aus: neues deutschland, Samstag, 3. November 2012
Krieg an der Satellitenfront
MEDIENgedanken: Abschaltung syrischer Sender in Europa
Von Karin Leukefeld **
»Störsignale aus Syrien behindern Ausstrahlung westlicher TV-Sender«, meldete die Nachrichtenagentur Reuters Mitte Oktober. Der »Empfang von BBC und Deutscher Welle im Nahen Osten« sei »mit Störsendern behindert worden«, so die Meldung. »Im Verdacht« stünden »Syrien und Iran«. Störsignale aus Syrien hätten die Ausstrahlung behindert, sagte eine Sprecherin des europäischen Satellitenbetreibers Eutelsat. Neben Sendungen der BBC und »Voice of America« seien auch Angebote der Deutschen Welle (DW) betroffen, war in der »Frankfurter Allgemeine Zeitung« (FAZ) zu lesen. Die Störungen seien »absichtlich und zeitlich begrenzt« gewesen, so Eutelsat.
Ein (fast täglicher) Test in Damaskus zeigt, dass sowohl die BBC - Englisch und Arabisch, TV und Radio - problemlos zu empfangen ist, sofern es Strom und einen intakten Fernseher bzw. ein Radio gibt. Auch die »Deutsche Welle« (Arabisch) kann problemlos empfangen werden. Den Empfang von »Voice of America« hat die Autorin zugegebenermaßen nicht überprüft, aber CNN und France 24 (Französisch, Englisch, Arabisch), ARD und RTL (Deutsch), selbst »Al Jazeera« (Arabisch und Englisch) und »Al Arabiya« (Arabisch) können auf verschiedenen Satelliten in Syrien empfangen werden. Eine Flut von Programmen, die eindeutig für die bewaffneten Aufständischen Partei ergreifen ist in syrischen Haushalten - sofern diese nicht in Kampfzonen liegen oder unter Stromausfällen zu leiden haben - zu empfangen. Warum also wird so eine dramatische Meldung über die angebliche Behinderung der Ausstrahlung westlicher TV-Sender »durch Syrien« verbreitet?
Wenige Tage später, am 22. Oktober, schaltete Eutelsat die Übertragung syrischer Sender über den Satelliten Hotbird ab. Betroffen sind der Syrische Satellitensender - der teilweise auch Sendungen in englischer Sprache ausstrahlt - und der Syrische Drama-Kanal, der bei Familien wegen der Filme, Serien à la Lindenstraße besonders beliebt ist. Die Abschaltung entsprach einer Sanktionsanordnung der Europäischen Außenminister. Der EU-Bannstrahl traf bereits (Dezember 2011) die angesehene private Zeitung »Al Watan« und Internetmedien. Mit der Abschaltung der syrischen Sender hat das »freie Europa« Fernsehstationen aus drei Staaten auf den Index gesetzt: Libanon (»Al Manar«, steht der Hisbollah nahe), Iran und Syrien. Angesichts einer konfrontativen EU-Politik gegenüber diesen Staaten und der Hisbollah dürfte das kein Zufall sein. Die europäische Eutelsat folgte mit der Abschaltung der syrischen Sender auch den arabischen Satellitenanbietern Nilesat (im Besitz der ägyptischen Regierung) und Arabsat (im Besitz der Arabischen Liga). Die hatten - nach monatelanger Ankündigung - im September syrische Sender von ihren Frequenzen verbannt.
Zeitungen zu verbieten oder Funk und Fernsehen abzuschalten ist Zensur. Im Falle Syriens - wo ein Krieg herrscht - ist es eine Waffe. In Zeiten von weltumspannenden Satellitensendern und Internet wird alles aufgeboten, um die Öffentlichkeit von der Richtigkeit der eigenen Darstellung zu überzeugen. Doch ist es den Golfstaaten, Europa und den USA - trotz schwerer medialer Geschütze und Überflutung rund um die Uhr - offensichtlich nicht gelungen, die Welt, geschweige denn alle Syrer von ihrer Botschaft zu überzeugen. Die lautet im Originalton von US-Verteidigungsminister Leon Panetta: »Assad verschwinde«. Das wiederum wollen sich viele Syrer - auch von der Opposition - so nicht vorschreiben lassen.
Also wird sanktioniert und abgeschaltet, um nach der Komplettisolation syrischer Regierungsstellen auch die Stimmen in Syrien zum Schweigen zu bringen, die nicht dem oppositionellen »Mainstream« folgen. Die Abschaltung erfolgt natürlich ganz gewaltfrei, doch die Botschaft wird weiter getragen. Im Juli und August 2012 kam es zu einer Reihe von bewaffneten Angriffen auf Fernsehsender und Mitarbeiter, Fernsehcrews und Journalisten wurden entführt, in ihren Wohnungen erschossen. Die Mittel unterscheiden sich, doch der Geist, der dem Abschalten von Medien und der Ermordung von Journalisten innewohnt, ist der gleiche. Der »Krieg im Medienzeitalter« wird mit »E-Mails, Blogs, Handys, Twitter, Videokameras, Skype, Rund-um-die-Uhr-Berichterstattung und Satellitenfernsehen geführt«, meinte im August 2006 der damalige US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und gab zu, dass ihm das »schlaflose Nächte« bereite. 2006 starben im Irak im Durchschnitt mehr als zwei Soldaten pro Tag. Als die US-Truppen 2011 den Irak verließen, waren fast 5000 US-Soldaten getötet worden.
US-Außenministerium und Pentagon haben seitdem medial aufgerüstet, Europa folgte. Auch Russland, Iran, China, Lateinamerika (Venezuela, »Tele Sur«) und afrikanische Staaten haben in den letzten Jahren viel Geld in Satellitensender investiert, um dem westlichen »Mainstream« eine andere Sicht der Dinge entgegenzuhalten. Was als Medienvielfalt die Öffentlichkeit über den hochkomplizierten Konflikt in Syrien exzellent aufklären könnte - so nutzen es die Syrer - wird von Europa wie eine Kriegserklärung behandelt. Syrische Kollegen und Medien werden im wahrsten Sinne des Wortes mundtot gemacht.
** Die Autorin ist freie Journalistin und berichtet für »nd« aus Syrien.
Aus: neues deutschland, Samstag, 03. November 2012
Karin Leukefeld
referiert auf dem 19. Friedenspolitischen Ratschlag am 1./2. Dezember 2012 in Kassel zum Thema:
Was habt ihr dem arabischen Frühling in Libyen und Syrien angetan!?
Hier geht es zum
Programm des Kongresses
Video von Erschießung wird geprüft
Syrischer Nationalrat legt seine Finanzen offen ***
UN-Experten prüfen die Echtheit von Videoaufnahmen,
die die Erschießung
gefangener syrischer Soldaten
durch Rebellen zeigen. »Wie
bei anderen solchen Videos ist es
schwierig, sie unmittelbar zu verifizieren
«, sagte der Sprecher des
UN-Hochkommissariats für Menschenrechte,
Rupert Colville, am
Freitag in Genf. Nach Angaben der
Organisation Syrischer Menschenrechtsbeobachter,
die das Video am Donnerstag veröffentlichte,
zeigt es, wie Angehörige einer
Rebelleneinheit in der syrischen
Provinz Idlib mehrere gefangene
Soldaten erschießen. Der
Sprecher des UN-Hochkommissariats
für Menschenrechte, Rupert
Colville, sagte, wer derartige Verbrechen
begehe, müsse mit Strafe
rechnen.
Der oppositionelle Syrische
Nationalrat (SNC) hat seine Finanzen
offengelegt. Damit reagierte
er auf Kritik anderer Regierungsgegner.
Diese hatten behauptet,
die Ratsmitglieder verprassten
lieber Spenden in Luxushotels,
anstatt den Revolutionären
oder Flüchtlingen zu helfen. Aus
der Bilanz geht hervor, dass dem
SNC das meiste Geld aus Libyen
zugeflossen sei. Saudi-Arabien
habe als Staat angeblich keinen
Beitrag geleistet. Von dort seien
lediglich »Einzelspenden von Privatleuten
« gekommen. Der SNC
habe insgesamt seit seiner Gründung
im vergangenen Jahr 40,4
Millionen Dollar erhalten.
*** Aus: neues deutschland, Samstag, 3. November 2012
Zurück zur Syrien-Seite
Zur Medien-Seite
Zurück zur Homepage