Streitfrage: Sollte der Westen die Rebellen in Syrien unterstützen?
Beiträge von Werner Ruf und Omid Nouripour
Syrien kommt nicht zur Ruhe. Seit 24 Monaten
bekriegen sich Regierungstruppen und
Aufständische im Land am Mittelmeer. Zehntausende
Tote hat der Bürgerkrieg bereits
gekostet, mehr als eine Millionen Syrer sind
in Nachbarländer geflüchtet. Und ein Ende ist
nicht in Sicht.
In Europa wurde schnell Syriens Präsident
Baschar Assad als Schuldiger für die Kämpfe
ausgemacht. Nur durch seinen Rücktritt sei
der Bürgerkrieg zu beenden, so die einhellige
Meinung. Doch Assad weigert sich, sein Amt
niederzulegen.
Was kann der Westen tun, um das Blutvergießen
zu beenden? Darf er überhaupt etwas
tun, schließlich handelt es sich in Syrien um
einen innerstaatlichen Konflikt? Das Prinzip
der nationalen Souveränität gilt auch dort.
Und was ist von Waffenlieferungen an die
Aufständischen zu halten, für die in jüngster
Vergangenheit geworben wurde?
Gewalteskalation durch Einmischung
Von Werner Ruf *
Zwei Jahre des Mordens in Syrien,
und ein Ende scheint nicht absehbar.
Absehbar scheint indes, dass
die Aufständischen den innerstaatlichen
Krieg so wenig gewinnen
können, wie die zum größten
Teil noch immer loyalen Truppen
des Regimes. Dass Syrien ein übler
Polizeistaat ist, ist nichts Neues,
galt doch das Land im Westen als
der Ort, wo die Verhörmethoden
im »globalen Krieg gegen den Terror
« »effizienter« waren als die der
CIA, weshalb man Verdächtige
dorthin überstellte. Doch für diese
Dienstleistungen hat Assad nun
ausgedient.
Nachdem er in Ungnade gefallen
ist, bleibt die Frage: Wer sind
die »Aufständischen«, die so vollmundig
beschworen werden und
die zu unterstützen nun als oberste
Pflicht beim Schutz der Menschenrechte
dargestellt wird? Die
oft unter dem Begriff »Freie Syrische
Armee« zusammengefasste
Opposition ist gespalten, zerstritten,
meist ineffektiv, schon deshalb
spricht man inzwischen wohl
lieber von »Aufständischen«. »Effektiv
« im Sinne der Anwendung
von Gewalt ist vor allem die djihadistische
al-nusra-Front, mit ihren
zahlreichen Bombenanschlägen,
die vor allem die Zivilbevölkerung
treffen. Sie besteht vor
allem aus Veteranen,
die schon in Afghanistan und
Irak kämpften, aber
auch aus in die Tausende gehenden
frischen Kämpfern aus Libyen,
Algerien und Tunesien. Finanziell und mit Waffen
unterstützt werden sie schon
seit zwei Jahren vor allem von
Saudi-Arabien und Katar, aber
auch vom NATO-Partner Türkei.
Das alles scheint noch nicht für einen
Sieg zu reichen, weshalb nun
auch westliche militärische Unterstützung
helfen soll, das Regime
Assad zu stürzen.
Unterstellt, dies gelänge – was
wäre dann? Wäre das Land dann
befreit? Was würde aus dem multiethnischen
Land, in dem Drusen,
Kurden und Araber
ebenso zusammen
lebten wie unterschiedliche
muslimische
und mehr als ein Dutzend christliche
Konfessionen? Sind die zerfallenen
Staaten Afghanistan, Irak, Libyen und demnächst Mali
nicht Beispiel genug einer kopflosen Politik des »regime change«? Werden »zerfallene
Staaten« in der einschlägigen Literatur
nicht zu Recht als Horte des
Terrorismus bezeichnet? Gibt es
davon noch immer nicht genug?
Weiter darf man fragen: Wo
war die diplomatische und materielle
Unterstützung für die Vermittlungsmissionen
von Kofi Annan und Lakhdar Brahimi, deren
Fehler es wohl war, auf eine Verhandlungslösung
zu setzen, die damals von den Aufständischen
strikt abgelehnt wurde? Jetzt, wo
trotz massiver Unterstützung
durch die Staaten des Golf-Kooperationsrats
eine militärische »Lösung « im Sinne der Saudis, Qataris
und des Westens in die Ferne
rückt, soll (will?) der Westen selbst
mit militärischen Mitteln die Entscheidung
herbeiführen? Erstaunlich
ist dabei nur die relative
Zurückhaltung der USA, als ob
diese als einzige aus den Desastern
in Afghanistan und Irak gelernt
hätten, weshalb sie schon im
Falle Libyens wesentlich vorsichtiger
agierten als die ehemaligen
Kolonialmächte Großbritannien
und Frankreich, das nun – wie in
Mali – versucht, die EU in diesen
Krieg zu ziehen.
Wäre es so falsch, sich an die
antiquierte UN-Charta zu erinnern,
deren Artikel 2, Ziffer 7 ja
noch immer gültig ist und die Einmischung
in die inneren Angelegenheiten
eines Landes verbietet?
Das Regime in Damaskus hatte
Schritte unternommen, unter anderem
die Verfassung geändert,
den Alleinherrschaftsanspruch der
Baathpartei gestrichen und politischen
Pluralismus verankert. Diese
Veränderungen waren der Ausgangspunkt
für die Vermittlungsaktionen.
Damals hätte man in
Übereinstimmung mit der UNCharta
auch die ausländischen Interventionen
(zumindest) der Saudis,
Kataris und Türken verhindern
müssen und können: Sie erst
haben die Eskalation der Gewalt
befördert. Statt den djihadistischen
Kämpfern militärisch zu
Hilfe zu eilen, scheint der letzte
Augenblick gekommen, endlich
jede ausländische Einmischung zu
unterbinden und auf eine Verhandlungslösung
zu setzen, die
nur von den Syrern selbst erarbeitet
werden kann.
* Werner Ruf war bis 2003 Professor
für internationale Beziehungen
an der Uni Kassel. Er
schreibt regelmäßig über Afrika
und den Nahen Osten.
Auf zivile Maßnahmen konzentrieren
Von Omid Nouripour **
Die Europäische Union hat sich
bislang klar gegen Waffenlieferungen
an Teile der oppositionellen
Freien Syrischen Armee ausgesprochen.
Nun scheren Frankreich
und Großbritannien aus und
machen sich dafür stark, dass gemäßigte
Kräfte der syrischen Opposition
mit Waffenlieferungen
unterstützt werden sollen. Kenner
der Lage wissen, dass im Geheimen
längst Waffen an oppositionelle
Truppen geliefert werden.
Frankreich und Großbritannien
wollen die gemäßigten Kräfte
in der syrischen Opposition stärken.
Es wird befürchtet, dass ansonsten
die dschihadistischen
Gruppen unter den Rebellen schon
bald die Oberhand im Land gewinnen.
Sie werden längst beispielsweise
aus Saudi-Arabien und
Katar mit Waffen versorgt. Doch
kann es überhaupt gelingen, gezielt
gemäßigte und demokratisch
orientierte Einheiten zu beliefern,
ohne das Risiko einzugehen, dass
die Waffen schnell in falsche Hände
fallen? Es spricht viel dagegen,
dass dies überhaupt möglich ist.
Die Freie Syrische Armee hat
sich mittlerweile in rund 1500 zum
Teil rivalisierende Kommandoeinheiten
aufgespalten. Nicht alle
von ihnen unterstützen den gemeinsamen
Kampf der Rebellen
gegen die Armee des syrischen
Präsidenten Baschar Assad, sie
verfolgen vielmehr eigene Interessen
und schrecken auch vor
Angriffen gegen andere Oppositionsgruppen
nicht zurück. In einem
solchen Klima kann niemand
garantieren, dass Waffenlieferungen
genau an dem Ort ankommen,
für den sie bestimmt sind,
und dass sie nicht in die Hände
extremistischer Kämpfer fallen.
Die einfache Wahrheit, dass ein
Konflikt nie militärisch gelöst werden
kann, gilt auch für den Bürgerkrieg
in Syrien. Die Erfahrung
lehrt, dass in aufgerüsteten Krisenregionen
auch nach Ende eines
Krieges trotzdem weiter gekämpft
wird. Wer jetzt argumentiert,
man müsse heute den säkularen
Teil der oppositionelle Kräfte
stärken, damit die Armee Assads
schneller besiegt werden
kann, der muss auch sagen, wie
eine Entwaffnung nach Ende des
Bürgerkrieges vollzogen werden
kann.
Nicht nur Syrien, die ganze Region
gleicht einem Pulverfass. Syrien
ist keine Insel, so dass es ein
Leichtes ist, Waffen
über Grenzen zu
bringen, um in benachbarten
fragilen Staaten wie Libanon
einen weiteren Bürgerkrieg zu
entfachen. Die internationale Gemeinschaft
muss auch deshalb dafür
Sorge tragen, dass weniger und
nicht mehr Waffen in diese Region
kommen.
Im Fall Syrien sind die Prognosen
für die Zeit nach Assads
Sturz besonders düster. Es drohen
Massaker an Minderheiten,
die das jetzige Regime entweder
unterstützt haben oder von ihm
geschont wurden. Die Religionsgruppe
der Alawiten steht hier besonders
im Fokus, aber auch
Christen und Juden drohen Verfolgung
und Mord. Die Zerstörung
der Städte und die Flüchtlingsströme
im Land und in die Nachbarstaaten
tragen außerdem zu
einer großen Unübersichtlichkeit
in Syrien bei. Und diese
Situation wird
sich noch weiter
verschärfen.
Angesichts von
70 000 Menschen,
die bislang im syrischen
Bürgerkrieg getötet wurden,
sind die Verzweiflung und die
Ratlosigkeit verständlich, mit denen
derzeit nach Wegen zur Beendigung
dieses dramatischen
Krieges gesucht wird. Doch hier
gilt: Eine nachhaltige Lösung des
Konflikts ist nur durch politische
Verhandlungen möglich. Auch bei
der Hilfe für die rund eine Million
Syrer auf der Flucht muss noch
mehr getan werden. Die Ankündigung
von Bundesinnenminister
Hans-Peter Friedrich (CSU), nun
zusätzlich zur finanziellen Unterstützung
der Flüchtlingslager vor
Ort 5000 Flüchtlinge in Deutschland
aufzunehmen, ist ein kleiner
Schritt in die richtige Richtung. Die
aufzunehmenden Flüchtlinge jedoch
nach ihrer Religionszugehörigkeit
auszuwählen, ist ein völlig
falsches Signal.
Die Debatte um Waffenlieferungen
für Teile der syrischen Opposition
muss schnell beendet
werden, denn sie lenkt davon ab,
was wirklich zu tun ist. Die Europäische
Union ist gut beraten, das
Waffenembargo aufrecht zu erhalten
und sich auf politische und
zivile Maßnahmen zu konzentrieren,
um so vor allem den Flüchtlingen
und der notleidenden Bevölkerung
zu helfen.
** Omid Nouripour ist Deutsch-
Iraner und Verteidigungspoliker
der Grünen im Bundestag.
Die beiden Beiträge erschienen in: neues deutschland, Samstag, 23. März 2013 ("Debatte")
Zurück zur Syrien-Seite
Zurück zur Homepage