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Beobachter unter Feuer

Syrische Exilopposition droht mit "Guerillakrieg" und fordert Abzug westlicher Botschafter aus Damaskus. Arabische Liga will Mission trotz Kritik fortsetzen

Von Karin Leukefeld *

Die Beobachtermission der Arabischen Liga in Syrien steht weiter im Kreuzfeuer der Kritik. Während die mehr als 100 Männer und Frauen aus verschiedenen arabischen Ländern durch Syrien reisen, Informationen in Krankenhäusern und Gefängnissen, in Wohngebieten, bei Straßenprotesten für und gegen Präsident Baschar Al-Assad und bei Begegnungen mit unzähligen Menschen sammeln, reißen die Versuche syrischer Oppositionsvertreter im Ausland nicht ab, die Fact-Finding-Mission zu diskreditieren.

Ziel der Mission ist es zu überprüfen, ob Syrien den arabischen Friedensplan umsetzt, der Ende Oktober vereinbart worden war. Danach sollen sich Panzer und Armee aus allen Wohngebieten zurückziehen, Gefangene freigelassen werden, um dann einen Dialog zwischen Opposition und Regierung aufzunehmen.

Der aus der Türkei agierende Führer der »Freien Syrischen Armee« (FSA), Riad Asaad, hatte zunächst angekündigt, seine Einheiten würden ihre bewaffneten Aktionen einstellen, um der Mission eine Chance zu geben. Am Dienstag sagte er in einem Telefoninterview mit der Nachrichtenagentur Reuters, die Mission der Arabischen Liga habe die Gewalt des Staates nicht gestoppt. »Wenn wir in höchstens einer Woche den Eindruck haben, daß sie es nicht ernst meinen, werden wir eine Entscheidung treffen, die das Regime und die ganze Welt überraschen wird.« Seine Truppe hätte in den letzten Tagen viele Tote zu beklagen, sagte Asaad. Die syrischen behörden wiederum erklärten, am Dienstag seien bei einem Angriff bewaffneter Aufständischer in Daraa 18 Angehörige der Sicherheitskräfte getötet worden, die in einem Bus unterwegs waren.

Das in Berlin lebende Mitglied des Syrischen Nationalrates (SNR) Ferhad Ahma kündigte am Mittwoch (4. Jan.) »einen Guerillakrieg gegen die offizielle syrische Armee an«, wenn weder die Beobachtermission noch eine UN-Resolution Präsident Assad zum Machtverzicht bewegen würden. Die Bundesregierung müsse den Nationalrat »als legitime Stimme des syrischen Volkes« offiziell anerkennen, forderte sein SNR-Kollege Hozan Ibrahim laut Nachrichtenagentur dapd. Ibrahim verlangte von der Bundesregierung, »alle politischen Beziehungen zum Assad-Regime einzufrieren und den deutschen Botschafter aus Damaskus abzuziehen«. Außerdem müsse eine Flugverbotszone eingerichtet werden. Der Sprecher des Auswärtigen Amts Andreas Peschke lehnte einen Abzug des deutschen Botschafters aus Damaskus ab. Man müsse die Zwischenbewertung der Arabischen Liga am kommenden Samstag (7. Jan.) abwarten, sagte Peschke.

Anwohner aus Vororten von Damaskus, in denen kleinere, religiös motivierte Protestgruppen aktiv sind, bestätigten gegenüber junge Welt den Abzug von Militär und Geheimdienst seit Beginn der Beobachtermission. Diese konnte sich unter anderem davon überzeugen, daß auch Eigentum von nicht an Protesten beteiligten Einwohnern bei Schießereien beschädigt worden war, darunter Fahrzeuge, Wassertanks und Stromverbindungen. Am Dienstag morgen wurden eine Gaspipeline und eine Brücke bei Al-Rastan (Homs) durch Anschläge zerstört. Die Gaspipeline versorgt zwei Elektrizitätswerke. Die Energieversorgung in Syrien muß wegen Sanktionen und Anschlägen seit geraumer Zeit rationiert werden.

Während die Opposition behauptet, die syrische Führung würde Scharfschützen gegen die Bevölkerung einsetzen, bestätigen Betroffene, daß auch bewaffnete Aufständische gezielt auf Zivilisten feuerten und Personen bedrohten, die sich nicht an Protesten beteiligten. Der Generalsekretär der Arabischen Liga, Nabil al-Arabi, sagte unter Verweis auf Berichte der Beobachter in Syrien, es gebe Scharfschützen, doch es sei »schwer zu sagen, wer auf wen schießt«. Es sei »zu früh«, die Mission als gescheitert zu bezeichnen, so Al-Arabi. Die syrische Regierung habe mehr als 3000 Gefangene freigelassen und zugesagt, ausländische Journalisten ins Land zu lassen, um über die Unruhen zu berichten, so der Generalsekretär weiter. Ausgenommen seien lediglich drei Fernsehstationen, deren Namen er nicht nannte. Ein namentlich nicht genannter Mitarbeiter der Arabischen Liga sagte dem Internetportal Middle East Online, es handelte sich um Al-Arabija, Al-Dschasira und France 24. Die Korrespondenten von ARD und ZDF berichteten bereits im Dezember aus Syrien.

Bei der Neujahrspressekonferenz des US-Außenministeriums sagte dessen Sprecher Jay Carney, es sei »klar, daß die Anforderungen des Protokolls der Arabischen Liga« von der syrischen Regierunge nicht umgesetzt würden. »Feuer von Scharfschützen, Folter und Mord« gingen in Syrien weiter. Es sei »höchste Zeit«, daß die internationale Gemeinschaft Maßnahmen gegen Präsident Baschar Al-Assad und seine Regierung ergreife, so Carney. »Wir arbeiten mit unseren internationalen Partnern, um den Druck auf das Assad-Regime zu erhöhen«, damit die Gewalt »gegen das eigene Volk« aufhöre. Viktoria Nuland, ebenfalls Sprecherin des US-Außenministeriums, kündigte inzwischen an, daß der für die Angelegenheiten des Mittleren Ostens zuständige Staatssekretär Jeffrey Feltman »zu Beratungen« mit der Arabischen Liga nach Kairo gereist sei.

* Aus: junge Welt, 5. Januar 2012


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