Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Ein Land wird zerfetzt

Syriens bewaffnete Opposition setzt auf Sprengstoffanschläge

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

Nachdem die gewaltsame Übernahme der syrischen Hauptstadt den bewaffneten Gruppen nicht gelungen ist, kommt es vermehrt zu Anschlägen mit Sprengstoff beladenen Fahrzeugen oder mit Sprengsätzen, die unter Autos befestigt und per Fernbedienung gezündet werden. Am vergangenen Sonntag explodierten auf der Hauptstraße von Mezzeh im Westen von Damaskus drei Sprengsätze, unbestätigten Berichten zufolge soll es einen Toten gegeben haben.

Die großen Zugangsstraßen in die syrische Hauptstadt werden von Militär und Sicherheitskräften kontrolliert, Polizeistationen sind von Sandsäcken und Sperrmauern umgeben. Wichtige Verkehrsadern im Zentrum der Stadt sind gesperrt, hier befinden sich eine Reihe wichtiger Ministerien und die Stadtverwaltung von Damaskus.

Die Spannungen um die zivile Luftfahrt nach und aus Syrien nehmen zu. Keine 48 Stunden nach der Zuerkennung des Friedensnobelpreises an die Europäische Union verhängte der frischgebackene Preisträger eine weitere Sanktionsrunde gegen Syrien und untersagte der syrischen Fluglinie die Landung auf europäischen Flughäfen. Die Türkei ließ derweil einen aus Armenien kommenden Hilfsflug nach Aleppo am Montag abend weiterfliegen, nachdem die türkische Luftwaffe die Maschine zuvor zur Landung in Erzurum gezwungen hatte. Nach der Durchsuchung der Ladung konnte die Maschine ihren Flug fortsetzen.

Aleppo erlebt derweil schwerste Zerstörungen. Während einige Stadtviertel von den Kämpfen zwischen bewaffneten Aufständischen und der syrischen Armee weitgehend verschont bleiben, traf es zuletzt die Ummayyaden-Moschee unweit des historischen Basars von Aleppo. Die Altstadt gehört seit 1988 zum Weltkulturerbe der UNESCO, 2006 wurde Aleppo Kulturhauptstadt des Islam. Syriens Präsident Baschar Al-Assad hat unmittelbar nach Bekanntwerden der Zerstörungen eine Kommission aus Ingenieuren, politischen und militärischen Verantwortlichen sowie der syrischen Antiquitätenbehörde damit beauftragt, den Wiederaufbau der Moschee zu beaufsichtigen.

Das Oberkommando der syrischen Streitkräfte hat am Montag einen Bericht der US-Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch zurückgewiesen, wonach die syrische Luftwaffe Streuwaffenmunition eingesetzt haben soll. Die Armee besitze solche Munition nicht, hieß es in der Stellungnahme. Auch der russische Außenminister Sergej Lawrow erklärte vor Journalisten in Luxemburg, Syrien benutze keine Streubomben.

Der frühere US-Staatssekretär für den Mittleren Osten Jeffrey Feltman hat in seiner neuen Funktion als UN-Untergeneralsekretär für Politische Fragen im UN-Sicherheitsrat am Montag erklärt, die Lage in Syrien habe »ein neues und entsetzliches Ausmaß an Brutalität und Gewalt« erreicht, es gebe mehr als 30000 Tote. Bei dieser Zahl handele es sich jedoch um Schätzungen, die von der UN nicht überprüft werden könnten. Der Konflikt könne sich auch auf Nachbarländer ausdehnen, sagte Feltman in bezug auf die jüngsten Zwischenfälle an der türkisch-syrischen Grenze, Schüsse auf den Golan-Höhen und im Norden des Libanons.

Die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Susan Rice beschuldigte in der gleichen Sitzung die Hisbollah Teil der »Tötungsmaschine« von Assad zu sein. Hisbollah spreche sich bei ihrer Unterstützung für einen »mörderischen und verzweifelten Diktator« mit dem Iran ab. Die USA ermuntere die internationale Gemeinschaft, »den terroristischen Aktivitäten der Hisbollah entgegenzutreten«, sagte Frau Rice. Ihr israelischer Amtskollege bei den Vereinten Nationen, Ron Prosor, ergänzte die Ausführungen und sagte, die Hisbollah »schlachtet ihre arabischen Brüder und Schwestern« in syrischen Städten wie Homs, Hama und Damaskus ab. Beweise für die Behauptungen legten die beiden UN-Botschafter nicht vor.

Der UN-Sonderbeauftragte für Syrien, Lakhdar Brahimi, wies am Montag Gerüchte zurück, wonach er eine friedenerzwingende UN-Truppe nach Syrien schicken wolle. Das hatte am Wochenende die britische Zeitung Sunday Telegraph berichtet. Er habe das nicht vorgeschlagen, sagte Brahimi, die Idee stamme »sicherlich nicht von mir«. Brahimi will aber offenbar beide Kriegsparteien in Syrien zu einem Waffenstillstand aufrufen. Anlaß sollte das bevorstehende Eid Al-Adha, das islamische Opferfest, sein. Es ist der höchste islamische Feiertag.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 17. Oktober 2012


Zurück zur Syrien-Seite

Zurück zur Homepage