Putin feuerte Verteidigungsminister
"Sauberer" Sergej Schoigu soll den ramponierten Ruf des Ressorts aufbessern
Von Irina Wolkowa, Moskau *
Die Meldung kam am Dienstag kurz
nach halb zwölf Moskauer Zeit: Präsident
Wladimir Putin hatte Verteidigungsminister
Anatoli Serdjukow
entlassen und an seiner statt Sergej
Schoigu ernannt.
Sergej Schoigu war 18 Jahre lang Minister für Katastrophenschutz
und schnitt, weil niedurch Korruptions- und andere Affären aufgefallen, bei Umfragen stets als populärstes
Regierungsmitglied ab. Er gehört
zudem zu den Gründern der Partei
»Einiges Russland«. Nicht zuletzt
seine persönliche Zustimmungsraten
hatten der Regierungspartei
bei den Parlamentswahlen 2003
jenen Sieg beschert, der Wladimir
Putin den Weg dazu frei machte,
Russland auf Jahre nach seinem
Bild zu formen.
Dass Putin Schoigu nach der
eigenen Rückkehr in den Kreml im
Mai mit dem relativ unbedeutenden
Posten des Gouverneurs im
Moskauer Umland betraute, deuteten
Kenner daher als bloße Zwischenlösung.
Der 57-jährige Tuwiner
– die entfernt mit den Türken
verwandte Volksgruppe siedelt
an der Grenze zur Mongolei – und
einzige Buddhist in der russischen
Regierung, raunte man, sei für
höchste Weihen vorgemerkt.
Zwar hieß es in der offiziellen
Begründung für den Wechsel im
Verteidigungsministerium, Schoigu
solle das Gute fortsetzen, was
sein Vorgänger begonnen hat: Armeereform,
Umrüstung der Streitkräfte
und die Lösung sozialer
Probleme für Berufssoldaten, darunter
die Bereitstellung von bezahlbarem
Wohnraum. Vor allem
aber soll Schoigus eigener guter
Ruf das ramponierte Ansehen seines
Ressorts aufbessern: Das Verteidigungsministerien
sorgt seit
1991 permanent für schlechte
Schlagzeilen. Zuerst durch Korruption
bei der bis 1994 in
Deutschland stationierten Westgruppe
der Streitkräfte, später
durch militärische Misserfolge und
rücksichtsloses Vorgehen gegen
die Bevölkerung im Tschetschenienkrieg
und immer wieder durch
Misshandlung von Rekruten und
»Privatisierung« von Haushaltsmitteln
durch hohe Militärs.
Putin versuchte zunächst, das
Übel durch mehrfache Wechsel der
Ressortchefs in den Griff zu bekommen.
Weil er damit den Filz
nicht entwirren konnte, ernannte
er 2007 erstmals einen zivilen Minister:
Anatoli Serdjukow, dessen
persönliche Loyalität er zuvor
schon mit dem Amt des obersten
Steuereintreibers belohnt hatte.
Obwohl Serdjukow bei der
Truppe unpopulär war, galt sein
Stern wegen dieser persönlichen
Freundschaft als unsinkbar. Zum,
Verhängnis wurde ihm der Skandal
um Oboronservice. Das dem
Verteidigungsministerium unterstehende
Logistikunternehmen soll
mit Haushaltsmitteln in teure Immobilien
investiert und sie guten
Freunden dann zu Dumpingpreisen
zugeschanzt haben. Seit Oktober
ermittelt die Staatsanwaltschaft
wegen Untreue. Drei Unternehmensmanager
wurden bereits festgenommen, darunter die Leiterin
der Immobilienabteilung
Jewgenia Wassiljewa, der »besondere
Beziehungen« zu Serdjukow
nachgesagt werden. Mit Serdjukows
Ablösung will Putin nach eigenen
Worten »Bedingungen für
unparteiische Ermittlungen in allen
Fragen schaffen«.
* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 07. November 2012
Wechsel in Moskau
Nach der Ablösung des russischen Verteidigungsministers wird über weitere Umbesetzungen an der Staatsspitze spekuliert
Von Knut Mellenthin **
Rußland hat einen neuen Verteidigungsminister. Nicht nur in Moskau fragt man sich, ob es mit diesem Wechsel schon sein Bewenden hat oder ob in nächster Zeit weitere Personalveränderungen folgen werden. Als Abschußkandidat Nummer eins gilt Generalstabschef Nikolai Makarow, der zugleich erster stellvertretender Verteidigungsminister ist. Auf dem Prüfstand steht aber letztlich die gesamte Militärreform der vergangenen Jahre, die in den russischen Streitkräften mehr Gegner als Befürworter hat. Die Entlassung von Verteidigungsminister Anatoli Serdjukow, der seit 2007 der Vollstrecker dieser Reformen war, habe »nicht wenige Militärs gefreut«, schrieb die Regierungszeitung Rossiskaja Gaseta am Mittwoch.
Präsident Wladimir Putin hatte Serdjukow am Dienstag die Papiere gegeben und den früheren Katastrophenschutzminister Sergej Schoigu zu dessen Nachfolger ernannt. Serdjukows Position war unhaltbar geworden, nachdem mehrere schwere Fälle von Veruntreuung und Betrug in seinem Ministerium vor zwei Wochen zu Haussuchungen und Haftbefehlen geführt hatten. Putin erwähnte im Zusammenhang der Entlassung aber auch, daß der Minister an der Aufgabe gescheitert sei, ausreichend Wohnraum für die Angehörigen der Streitkräfte bauen zu lassen. Daß ihm dieses Projekt besonders am Herzen liegt, hatte Putin mehrfach öffentlich gesagt und gezeigt. Beobachter in Moskau schließen eine Ausweitung der laufenden Korruptionsermittlungen auf das Armeebauwesen nicht aus.
Serdjukow war der erste Zivilist an der Spitze des Verteidigungsministeriums gewesen und hatte viele wichtige Positionen mit Freunden und Bekannten aus seiner früheren Arbeitsstelle, einer Steuerfahndungsbehörde, besetzt. Sein Nachfolger hat immerhin Generalsrang und verfügt über erheblich bessere Arbeitskontakte zu den Streitkräften und den Geheimdiensten. Der 57jährige Schoigu hatte von 1994 bis zum Mai dieses Jahres das Ministerium für Katastrophenschutz und Zivilverteidigung geleitet und war dann zum Gouverneur der Moskauer Region ernannt worden.
Schoigu ist einer der populärsten Politiker Rußlands. Die Arbeit des von ihm acht Jahre lang geleiteten Ministeriums gilt als frei von Korruptionsskandalen, gut organisiert und effektiv. Mit seinem häufigen Erscheinen am Ort von Hilfsmaßnahmen, wobei er manchmal persönlich Hand anlegte, setzte er sich auch für die Medien gut in Szene. Er demonstriert zugleich, daß nicht nur die untergegangene Sowjetunion ein multinationaler Staat war, sondern daß dies auch für Rußland zutrifft: Sein Vater gehörte zur kleinen ostasiatischen Volksgruppe der Tuwiner, die an der Grenze zur Mongolei lebt. Schoigu ist höchstwahrscheinlich der einzige buddhistische Verteidigungsminister, den Rußland jemals hatte.
Alexej Muchin, Generaldirektor des Zentrums für politische Information, eines Moskauer Thinktanks, kommentierte am Mittwoch: »Schoigu ist ein politisches Schwergewicht; seine Autorität wird es den Generälen nicht erlauben, seine Initiativen und Befehle zu ignorieren. Schoigus Ernennung scheint den Wunsch der obersten Staatsführung auszudrücken, den Gang der Militärreform zu verändern, um sie verständlicher zu machen.«
Die zentrale Frage ist indessen, ob der neue Mann die Reform nur besser verkaufen oder ob er sie in Teilen auch zurückfahren soll. Unter Serdjukow war die Personalstärke des Offizierskorps so drastisch reduziert worden, daß viele Militärs die Einsatzfähigkeit der Truppe gefährdet sehen. Er hatte außerdem mit dem Import westlicher Waffentechnologie begonnen und sich damit die einheimische Rüstungsindustrie zum Feind gemacht.
** Aus: junge Welt, Donnerstag, 08. November 2012
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