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Ungewisse Zukunft

In Pakistan verlängern die Taliban die Waffenruhe nicht, wollen aber weiter verhandeln. Gegen "Stammesgebiete" droht eine Militäroffensive

Von Knut Mellenthin *

Die Fortsetzung der »Friedensgespräche« zwischen der pakistanischen Regierung und den Taliban ist ungewiß, da die Aufständischen den am 10. April abgelaufenen vierzigtägigen Waffenstillstand nicht erneuern wollen. Die Verhandlungen mit dem bedeutendsten Verband örtlicher Talibangruppen, der TTP, waren im Februar begonnen, aber schon wenig später unterbrochen worden. Sie wurden erst wieder aufgenommen, nachdem die TTP am 1. März eine einmonatige Waffenruhe verkündet hatte, die sie kurz vor Ablauf noch einmal um zehn Tage verlängerte.

Die Entscheidung der pakistanischen Taliban, diese nicht noch einmal zu verlängern, wurde am Mittwoch von TTP-Sprecher Shahidullah Shahid bekanntgegeben. Sie fiel auf einer mehrtägigen Schura, einer Versammlung von Kommandeuren und Stammesältesten. Der Beschluß kam nicht unerwartet, da die »Friedensgespräche« unter den heterogenen und teilweise direkt miteinander konkurrierenden Talibangruppen von Anfang an umstritten waren. Shahid begründete die Beendigung der Waffenruhe mit konkreten Vorwürfen gegen Militär und Polizei: Seit Anfang März seien mehr als 50 Talibankämpfer getötet worden. Mehr als 200 Menschen seien wegen angeblicher Verbindungen zu den Aufständischen verhaftet worden. Die Sicherheitskräfte hätten mehr als 25 Razzien und Durchsuchungsoperationen durchgeführt. Gefangene seien gefoltert worden.

Die Regierung führe die Verhandlungen offensichtlich nicht ernsthaft, kritisierte Shahid vor diesem Hintergrund, und sie habe bisher auch keine Bereitschaft gezeigt, sich mit den »vernünftigen und konkreten Vorschlägen« der TTP zu befassen. Gemeint sind deren Forderungen, mehrere hundert »nicht-kombattante« Gefangene freizulassen und eine »Friedenszone« zu schaffen. Dabei geht es um den Rückzug der Sicherheitskräfte aus einem Teil der sogenannten Stammesgebiete im Nordwesten. Das haben Regierung und Militärführung ausdrücklich abgelehnt. Die andere Forderung bezieht sich auf die seit Jahren geübte Praxis von Militär und Polizei, bei ihren Operationen gegen die Aufständischen massenhaft Verwandte mutmaßlicher Taliban, darunter auch Kinder, Jugendliche, Frauen und alte Leute, festzunehmen und einzusperren. Viele von ihnen werden unter Foltern und brutalen Mißhandlungen immer wieder verhört. Die Regierung hat im März etwa 30 dieser Menschen aus der Haft entlassen. Die TTP beanstandet aber, daß darunter nur wenige Personen aus der von ihnen präsentierten Liste und kaum erwachsene Männer gewesen seien.

Die von Shahid am Mittwoch verbreitete Erklärung enthält trotz der Nichtverlängerung der Waffenruhe ein Bekenntnis zur Fortsetzung der »Friedensgespräche«. Die TTP sei weiterhin offen für Verhandlungen, heißt es dort. Vorausgesetzt allerdings, die Regierung sei bereit zu Maßnahmen, die einen »deutlichen Fortschritt« in Richtung der beiden zentralen Forderungen der Aufständischen bedeuten.

Am Donnerstag tagte daraufhin der sogenannte Kabinettsausschuß für Nationale Sicherheit, englisch abgekürzt CCNS. Diesem Gremium, das im August 2013 vom neuen Premier Nawaz Sharif ins Leben gerufen wurde, gehören neben dem Regierungschef und den Ministern mehrerer Schlüsselressorts wie Verteidigung, Innenpolitik, Außenpolitik oder Finanzen auch der Oberkommandierende der Streitkräfte, die Chefs der drei Waffengattungen und der Generaldirektor des Geheimdienstes ISI an. Über die Sitzung wurde nur ein sehr wortkarges Kommuniqué veröffentlicht, das vage die Bereitschaft zu einer anscheinend nicht sehr motivierten Fortsetzung der Verhandlungen andeutet.

In der pakistanischen Öffentlichkeit wurde von Anfang an allgemein angenommen, daß die Militärführung die »Friedensgespräche« sehr skeptisch beurteilt und nur auf das Ende des Winters wartet, um eine Großoffensive gegen die Stammesgebiete zu beginnen. Dieser Zeitpunkt ist, soweit es die Wetterverhältnisse angeht, jetzt ungefähr gekommen.

* Aus: junge Welt, Samstag 19. April 2014


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