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Im roten Bereich

Massenproteste in Pakistan: Konfrontation spitzt sich zu

Von Knut Mellenthin *

In der pakistanischen Hauptstadt Islamabad hat sich die Konfrontation zwischen Zehntausenden Demonstranten aus allen Teilen des Landes und der Regierung am Mittwoch zugespitzt. Die Führer mehrerer voneinander unabhängiger Proteste, der Sufi-Prediger Tahir Al-Qadri, und der Chef der stärksten Oppositionspartei, PTI, Imran Khan, haben angekündigt, daß ihre Anhänger bis zum Rücktritt von Premier Nawaz Sharif in Islamabad bleiben werden. Khan hat zu einem »friedlichen« Marsch auf die Residenz des Regierungschefs aufgerufen, falls dessen Rücktritt nicht bis zum gestrigen Mittwoch abend (nach jW-Redaktionsschluß) erfolgt sein sollte.

Die Aktionen hatten am vergangenen Donnerstag mit Konvois aus dem etwa 350 Kilometer von der Hauptstadt entfernten Lahore begonnen. Die ersten Fahrzeuge erreichten Islamabad am späten Freitag (Ortszeit). In der Zwischenzeit hatte die Regierung, die zunächst beide »Märsche« verboten hatte, nicht nur eine Genehmigung erteilt, sondern auch die zahlreichen Straßensperren, darunter viele massive Hindernisse aus Schiffscontainern, beseitigen lassen. Tabu bleiben sollte aber die nach wie vor extrem stark gesicherte »Rote Zone«, in der sich das Parlament, Regierungsgebäude und viele Botschaften befinden.

Am Dienstag abend fiel dann auch diese Einschränkung – nicht offiziell, aber in der Praxis. Die Sicherheitskräfte – laut Meldungen rund 30000 Mann – ließen es widerstandslos geschehen, daß die Marschteilnehmer, darunter viele Frauen und Kinder, in die »Rote Zone« vorrückten. »Im Schneckentempo«, wie pakistanische Medien schrieben, weil die Demonstranten auf ihrem Weg zahlreiche Hindernisse beseitigen mußten. Zur Entfernung der Container hatten die Protestgruppen mobile Kräne mitgebracht. Abgesehen von einem Polizisten, der über Nasenbluten klagte, und zwei leicht verletzten Demonstranten verlief der Vormarsch bis zum frühen Mittwoch abend (Ortszeit) ohne Zwischenfälle.

Aktuell verläuft die»rote Linie«, die vermutlich mit aller Härte verteidigt werden würde, rund um die Regierungsgebäude. Unter Berufung auf einen Notstandsartikel der Verfassung hat das Kabinett die Streitkräfte zum Schutz der Hauptstadt herangezogen. Angeblich befanden sich am Mittwoch etwa 700 Soldaten in Islamabad. Ihre Aufgabe besteht zur Zeit ausschließlich in der Abriegelung der Regierungsgebäude. Das Militär scheint bemüht, eine Eskalation der Proteste zu verhindern. Der Sprecher der Streitkräfte, General Asim Bajwa, rief in der Nacht zum Mittwoch zur Zurückhaltung auf: »Die Lage verlangt von allen Beteiligten Geduld, Weisheit und Klugheit, um die derzeitige Sackgasse durch einen ernsthaften Dialog im breiteren nationalen und öffentlichen Interesse zu überwinden.«

* Aus: junge Welt, Donnerstag 21. August 2014


Pakistans politisches Zentrum blockiert

Tausende wollen den Premier aus dem Amt jagen **

Pakistans Regierung gerät durch Massenproteste unter Druck. Die Demonstranten fordern den Rücktritt der Regierung.

Um die 30 000 Demonstranten belagerten am Mittwoch in der pakistanischen Hauptstadt Islamabad das Parlament und mehrere Regierungsgebäude, um Premierminister Nawaz Sharif zum Rücktritt zu zwingen. Pakistans mächtige Armeeführung rief die Konfliktparteien zu Gesprächen auf. »Die Situation erfordert Geduld, Weisheit und Klugheit von allen Seiten, um aus der verfahrenen Situation herauszukommen«, erklärte Militärsprecher Asim Salim Bajwa nach Medienberichten.

Das Oberste Gericht bestellte die Schlüsselfiguren der Protestbewegung für diesen Donnerstag ein. Angeführt wird der Protest von Oppositionspolitiker Imran Khan und dem in Kanada lebenden TV-Prediger Tahirul Qadri. Die beiden waren mit Tausenden ihrer Anhänger Dienstagnacht in die »Rote Zone« der Hauptstadt eingedrungen, in der sich die Residenz des Premierministers, das Parlament, wichtige Ministerien und diplomatische Vertretungen befinden.

Die Demonstranten räumten Straßensperren und Barrikaden aus dem Weg, mit denen die Sicherheitskräfte das politische Zentrum abgesperrt hatten. Die Armee umstellte wichtige Gebäude mit der Begründung, staatliche Institutionen vor den Protesten zu schützen. Zum Teil drangen Militärs auch in belagerte Gebäude ein, was für Putschgerüchte sorgte.

Khan ist Chef der Partei PTI und wirft der Regierung vor, die Wahl im Mai 2013 massiv gefälscht zu haben und ihn dadurch vom Amt des Premierminister fernzuhalten. Qadri, der durch seine Fernseh-Predigten enorm populär in Pakistan ist, leitet die Partei PAT. Der islamische Geistliche blockierte bereits im Januar 2013 mit Tausenden seiner Anhänger die Hauptstadt und versuchte, die damalige Regierung zum Rücktritt zu zwingen.

Die schwere politische Krise im Atomstaat Pakistan rückt erneut die Armee in den Blickpunkt, die das Land schon mehrere Jahrzehnte lang regiert hat. Der letzte Coup erfolgte 1999.

** Aus: neues deutschland, Donnerstag 21. August 2014


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