Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Kathmandu bleibt eingekesselt

Nepals maoistische Rebellen demonstrieren seit Mittwoch ihre Macht. König übt Zurückhaltung

Von Hilmar König*

Kathmandu blieb auch am Freitag abgeschnitten, derweil in einem Regierungsgebäude im Zentrum der nepalesischen Hauptstadt mehrere Bomben explodierten. Verletzt wurde auch an diesem dritten Tag des Blockaderings niemand: Am Mittwoch hatte die Guerilla der Communist Party of Nepal-Maoist (CPN-M) die Millionenmetropole des Himalajastaats eingekesselt, ohne sich zu zeigen. Allein die Drohung, Fahrer oder Eigentümer von Fahrzeugen zu bestrafen, bewirkte, daß die Zufahrtsstraßen in die nepalesische Metropole nahezu leer blieben. Weder aus Indien noch aus Tibet kamen LKW durch.

Die Maoisten fordern von der Regierung die Freilassung von politischen Gefangenen, die Aufklärung mysteriöser Todesfälle in Polizeigewahrsam sowie Auskunft über das Schicksal Tausender »Verschwundener«. Politische Beobachter vermuten indes, daß die Guerilla darüber hinaus mit ihrer erstmaligen Blockade die Regierung zur Wiederaufnahme der seit einem Jahr unterbrochenen Friedensverhandlungen zwingen will. So hieß es im Magazin Himal, daß die Aufständischen ihre Stärke demonstrieren wollten. Bharat Mohan Adhikary, Nepals Vizepremier, hatte bereits am Donnerstag an die Rebellen appelliert, die Krise zu beenden. »Die Regierung trifft alle erforderlichen Vorbereitungen für Gespräche«, behauptete er. Allerdings äußerte sich König Gyanendra, der erst kürzlich seine Marionettenregierung umgebildet hatte, als eigentlicher Machthaber bisher noch nicht.

Auf insgesamt 10 000 bis 15 000 Kämpferinnen und Kämpfer wird die Zahl der Aufständischen geschätzt. Viele von ihnen inklusive der gesamten derzeitigen Parteiführung hatten sich 1990 am Volksaufstand gegen die Monarchie beteiligt – in der Hoffnung auf soziale Gerechtigkeit und auf eine Entwicklung, die auch dem »kleinen Mann« eine Perspektive gibt. Als sich bis Mitte der neunziger Jahre diese Hoffnungen zerschlagen hatten, wurde der bewaffnete Kampf eröffnet, um auf diesem Weg eine volksdemokratische Ordnung zu errichten, ideologisch inspiriert von Maos Lehren und praktisch den Kurs des peruanischen »Leuchtenden Pfades« kopierend. Ein revolutionäres Regime der bäuerlichen Massen soll die Monarchie ersetzen und die Geschicke des Landes übernehmen, wobei sich die CPN-M in Kontroverse zur starken parlamentarischen Linken Nepals befindet, die an bürgerlich-demokratischen Verhältnissen festhält.

Die Maoisten verfügen über eine bemerkenswerte Unterstützung der Bevölkerung, vor allem bei den armen und diskriminierten Schichten im hinduistischen Kastensystem. Nepals Verwaltung wird auf allen Ebenen von Vertretern hoher Kasten beherrscht, obwohl über 70 Prozent aller Nepali unteren Kasten angehören. Mit der Blockade Kathmandus untermauert die CPN-M ihre Absicht, den Volkskrieg aus den ländlichen in die städtischen Gebiete zu bringen.

* Aus: junge Welt, 21. August 2004


Zurück zur "Nepal"-Seite

Zurück zur Homepage