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Bushs Guru / Bush's Guru

Sharansky - "kompromissloser Aktivist gegen die Menschenrechte der Palästinenser" / Sharansky -- "an uncompromising activist against the human rights of the Palestinians"

Bushs Guru

Von Uri Avnery

Ein amerikanischer und ein sowjetischer Soldat trafen sich 1945 in Berlin und stritten darüber, welches ihrer beiden Länder demokratischer sei. „Nun“, sagte der Amerikaner, „Ich kann in der Mitte des Times Square in New York stehen und ausrufen: Truman ist ein Schurke! und mir wird nichts geschehen“. „Na und?“, erwidert der Russe, „ich kann mich mitten auf den Roten Platz in Moskau stellen und ausrufen: Truman ist ein Schurke! Und mir wird nichts geschehen.“ Vielleicht ist es diese Geschichte, die Natan Sharanskys Theorie anregte, dass der letzte Test für Demokratie der sei, wenn eine Person sich auf den zentralen Platz ihrer Stadt stellen und ihre eigene Regierung verunglimpfen kann, ohne dass ihr etwas geschieht. Das stimmt, es ist allerdings all zu simpel. Simpel genug, um die Phantasie eines anderen großen Denkers, George W. Bush anzuregen.

Als Israelis zum ersten Mal davon hörten, dass Bush Sharansky als seinen geistigen Lehrer zitierte, blieb ihnen fast die Luft weg. Sharansky? Unser Sharansky?

Um diese Reaktion zu erklären, muss man ein wenig ausholen. Das erste Mal hörten wir von Sharansky (eigentlich Anatoli Shcharansky, denn der Name wurde vereinfacht und hebraisiert, als er hierher kam), als er ein „Dissident“ in der UDSSR war. Nachdem er in Moskau internationale Aufmerksamkeit erregt hatte, wurde er vom KGB verhaftet und wegen Verrats verurteilt, was wie ein besonders plumper Versuch aussah, ihn zum Schweigen zu bringen. Wie wir hörten, war er in der Hölle des Gulag nicht gebrochen worden, sondern blieb ein stolzer Kämpfer für seine Rechte und Ideen. Eine große internationale Kampagne verlangte seine Freilassung.

Schließlich entschieden sich die Sowjets, ihn los zu werden und ihn gegen einen für sie wichtigen sowjetischen Spion, der in Amerika festgehalten wurde, auszutauschen. Das Bild von der kleinen, aber aufrechten Gestalt, die die Brücke in Berlin überquerte, ist in unserem Gedächtnis geblieben.

Mit angehaltenem Atem warteten wir auf seine Ankunft in Israel. Da war er nun, ein großer, wirklicher Held, der Mann, der den sowjetischen Riesen allein besiegt hat, ein moderner David, der dem mächtigen Goliath trotzte.

Als wir ihn dann in natura vor uns sahen, waren wir enttäuscht. Als Held sah er wenig beeindruckend aus. Aber das Aussehen kann ja täuschen, oder?

Am Flughafen traf Anatoli, jetzt Nathan, wieder mit seiner Frau zusammen - eine andere berühmte Dissidentin. Da sie es in Israel schon als fanatisch rechte und religiöse Extremistin zu gewisser Berühmtheit gebracht hatte, schien ihre Verbindung mit dem Menschenrechtsaktivisten nicht recht zusammen zu passen.

Die wirkliche Desillusionierung – wenigstens für mich – begann mit der Husseini-Affäre. Irgendeine gute Seele arrangierte ein Treffen zwischen dem großen Dissidenten und Feisal Husseini, dem Führer der arabischen Gemeinde in Ost-Jerusalem, einem Kämpfer für die palästinensischen Menschenrechte und einem wahren Humanisten. Sharansky willigte ein, zog aber im letzten Augenblick zurück. Er behauptete, er habe nicht gewusst, dass Husseini zur PLO gehöre. (Das ist so, als habe er nicht gewusst, dass Bush Amerikaner sei). In jener Zeit schrieb ich einen Artikel über ihn mit der Überschrift „Shafansky“ (Shafan bedeutete im Hebräischen Kaninchen, ein Symbol für Feigling).

Seitdem ist der große Menschenrechtler allmählich ein kompromissloser Aktivist gegen die Menschen- (und andere) Rechte der Palästinenser in den besetzten Gebieten geworden. Als erstes baute er eine Partei der Einwanderer aus der früheren Sowjetunion auf, erreichte ein bemerkenswertes Wahlergebnis und trat der Koalition der Laborpartei bei; aber nach einiger Zeit rutschte seine Partei wieder ab. Er versuchte sie zu retten, in dem er sich aus der Regierung Ehud Baraks zurückzog. Er behauptete, sie hätte gegenüber den Palästinensern zu viele Konzessionen Jerusalem betreffend gemacht.

Schließlich schloss er sich – den politischen Bankrott eingestehend - dem Likud an. Nun ist er ein ziemlich unbedeutendes Mitglied der Regierung und nennt sich selbst grandios „Minister für Jerusalem“, dient aber tatsächl ich als Minister ohne Geschäftsbereich, der pro forma mit den Angelegenheiten Jerusalems beauftragt ist.

Mittlerweile hat er unter einigen Unannehmlichkeiten gelitten. Ein anderer berühmter russischer Immigrant veröffentlichte ein äußerst kritisches Buch über ihn. Er behauptet darin, dass Sharansky niemals ein prominenter Dissident gewesen sei; seine Bedeutung sei absichtlich vom KGB aufgebauscht worden, um ihn gegen den wirklich bedeutenden Agenten im amerikanischen Gefängnis auszutauschen. Das Buch deutet auch an, dass seine Rolle hinter Gittern viel weniger heldenhaft war, als man verkündet hatte. Sharansky klagte wegen Verleumdung und gewann, trotz der Aussagen einiger anderer früherer Dissidenten gegen ihn.

Während all der Jahre driftete Sharansky – zusammen mit vielen „russischen“ Einwanderern – zur extremen Rechten. Schon als Wohnungsbauminister hatte er systematisch die Siedlungen auf enteignetem arabischem Land in der Westbank vergrößert und hat so die Menschen- und nationalen Rechte der Palästinenser mit Füßen getreten. Nun gehört er zu den Likud-„Rebellen“, der Gruppe der extremen Rechten, die versucht, Ariel Sharons Abzugsplan zu unterwandern und die Auflösung der Siedlungen zu verhindern.

Seit Jahren geht er nun mit der Idee hausieren, dass ein Frieden mit den Arabern unmöglich wäre, solange sie nicht Demokraten würden. In Israel wurde dies nur als weiterer Propagandatrick abgetan, der der israelischen Regierungsopposition zu irgendeinem Frieden diene, was das Ende der Besatzung bedeuten würde.

Da Sharansky absolut nichts über arabische Angelegenheit weiß und wahrscheinlich auch nie ein ernsthaftes Gespräch mit einem Araber geführt hatte, ist es für Israelis schwierig, ihn in dieser Beziehung ernst zu nehmen. So weit ich weiß, tut das auch keiner, nicht einmal Anhänger des rechten Flügels. Seine wenig originelle Behauptung, dass „Demokratien nicht gegen andere Demokratien Kriege führen“ ist ein perfektes Alibi für die Vereinigten Staaten, um den Irak, Syrien und den Iran anzugreifen, die nach allem keine Demokratien sind (während sie Diktaturen wie Pakistan und Turkmenistan unterstützen).

Allein der Gedanke, dass die Lehren dieses politischen Philosophen ein Leitstern des mächtigsten Führers der Welt und des Befehlshabers der größten Militärmaschinerie sind, die es je in der Geschichte gab, jagt einem schon pure Angst ein.

12. März 2005

Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert

Bush's Guru

by Uri Avnery

An American and a Soviet soldier meet in Berlin in 1945 and get into an argument about which of their countries is more democratic. "Why," the American said, "I can stand in the middle of Times Square and shout 'President Truman is a scoundrel' and nothing will happen to me!" "Big deal," the Russian retorted, "I can stand in the middle of Red Square and shout 'Truman is a scoundrel' and nothing will happen to me!" It is perhaps this story that inspired Natan Sharansky's theory that the ultimate test of democracy is that a person can stand in the town square and denounce his government, without anything happening to him. True, but rather simplistic, I would say. Simplistic enough to catch the imagination of that other great thinker, George W. Bush.

When Israelis heard for the first time about Bush citing Sharansky as his guide and mentor, they gasped in disbelief. Sharansky? Our Sharansky?

To explain this reaction, one has to go back a little bit. We first heard of Natan Sharansky (actually Anatoliy Shcharansky, but the name was simplified and Hebrewized when he came here) as a "dissident" in the Soviet Union. After attracting international attention in Moscow, he was arrested by the KGB and sentenced for treason, in what looked like a particularly clumsy attempt to silence him. As we heard it, he was not broken in the hell of the Gulag but remained a proud fighter for his rights and ideas. A huge international campaign demanded his release.

In the end the Soviets decided to get rid of him and exchanged him for a valuable Soviet spy held in America. The picture of this small but upright figure crossing the bridge in Berlin has remained imprinted in our memories.

We waited for his arrival in Israel with bated breath. Here he was, a great, authentic hero, the man who had single-handedly defeated the Soviet colossus, a modern David defying mighty Goliath.

Seeing him in the flesh was an anti-climax. For a hero, he looked singularly unimpressive. But appearances mislead, don't they?

At the airport, Anatoliy, now Natan, was reunited with his wife, another famous dissident. Since she had already achieved a certain notoriety in Israel as a fanatical right-winger and religious extremist, her connection with the human-rights activist seemed incongruous.

The real disillusionment, at least for me, started with the Husseini affair. Some good soul arranged a meeting between the great dissident and Feisal Husseini, the leader of the Arab community in East Jerusalem, a fighter for Palestinian human rights and a real humanist. Sharansky agreed, but at the last moment retracted, claiming that he had not known that Husseini belonged to the PLO. (Which is rather like not knowing that Bush is an American.)

At the time I wrote an article about him under the heading "Shafansky". "Shafan" is Hebrew for rabbit, the symbol of cowardice.

From then on, the great human rights fighter gradually became an uncompromising activist against the human (and any other) rights of the Palestinians in the occupied territories.

First he established a party of immigrants from the former Soviet Union, achieved a respectable election result and joined a coalition headed by the Labor Party. But after some time his party started falling apart. He tried to save it by resigning from the government of Ehud Barak, on the grounds that it had made too many concessions to the Palestinians over Jerusalem.

Finally, in an admission of political bankruptcy, he joined the Likud. He is now a quite unimportant member of the government, calling himself grandly "Minister for Jerusalem", but serving actually as a Minister without Portfolio, who has been put, pro forma, in charge of Jerusalem affairs.

In the meantime, he has suffered some unpleasantness. Another famous immigrant from Russia published an extremely critical book about him, alleging that he had never been a prominent dissident, but that his importance had been deliberately inflated by the KGB in order to exchange him for its genuinely important agent in the American prison. Also, the book insinuates that his role behind bars was considerably less heroic than advertised.

Sharansky sued for libel and won, but only after the indignity of hearing some other prominent former dissidents testify against him.

Throughout the years, Sharansky - in line with many "Russian" immigrants - was drifting to the extreme right. Already as Housing Minister, he had systematically enlarged the settlements on expropriated Arab land in the West Bank, trampling on the human and national rights of the Palestinians. Now he belongs to the Likud "rebels", the group of extreme right-wingers who are trying to undermine Ariel Sharon's "disengagement" plan and prevent the dismantling of settlements.

For years now, he has peddled the idea that peace with the Arabs is impossible until they become democratic. In Israel, this was dismissed as just another propaganda gimmick serving the Israeli government's opposition to any peace that would mean an end to the occupation. Since Sharansky is totally ignorant of Arab affairs and has probably never had a serious conversation with an Arab, it is hard for Israelis to take him seriously. As far as I know, nobody does, not even among Rightists.

His highly unoriginal contention that "democracies do not make war against other democracies" is a perfect alibi for the United States to attack Iraq, Syria and Iran, which are, after all, no democracies (while dictatorships like Pakistan and Turkmenistan remain good friends).

The idea that the teachings of this particular political philosopher are the guiding star of the mightiest leader in the world, the commander of the biggest military machine in history, is rather frightening.

March 12, 2005

Source: www.gush-shalom.org


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