Israels Recht auf Krieg
Außenminister Lieberman verkündet Entscheidungsfreiheit. Premierminister Netanjahu will internationale Gespräche mit Iran verhindern
Von Knut Mellenthin *
Israels Regierung besteht auf ihrem „Recht“, einen Krieg gegen Iran, der
sich voraussichtlich auf den gesamten Nahen und Mittleren Osten ausweiten
würde, auch gegen den Willen der USA auszulösen. Außenminister Avigdor
Lieberman verkündete am Sonntag im israelischen Rundfunk: „Wir sind ein
souveräner Staat und treffen Entscheidungen letztlich gemäß unserer
Einschätzung der Situation.“ Gleichzeitig bestand er darauf, dass „das
ständige Gerede“ über dieses Thema niemandem diene. Der Entschluss zum Krieg
müsse „in aller Stille“ fallen.
Die israelische Regierung hatte Washington zuvor schon in internen Gespräch
klargemacht, dass sie die USA nicht im Voraus über den Beginn von
Militärschlägen gegen Iran informieren werde. Kritik an ihren Plänen und
Entscheidungen sei eine unzulässige „Einmischung in die inneren
Angelegenheiten“ Israels. Unberücksichtigt bleibt bei dieser
selbstherrlichen Definition des Begriffs „Selbstverteidigung“, dass Israel
ohne massive Unterstützung der USA – die in Wirklichkeit als völlig sicher
vorausgesetzt wird – nicht in der Lage wäre, gegen Iran Krieg zu führen.
Gleichzeitig versucht Israel, die Wiederaufnahme politischer Gespräche mit
dem Iran zu verhindern. Auf der ersten Station seiner Nordamerika-Reise
warnte Premierminister Benjamin Netanjahu am Freitag in Kanada, dass Iran
solche Gespräche nur benutzen würde, um dem immer stärkeren internationalen
Druck zu entgehen. „Ich meine, die internationale Gemeinschaft sollte nicht
in diese Falle gehen. Die Forderungen an Iran sollten klar sein: Demontage
der unterirdischen Atomanlage in Qom, Stopp der Anreicherung innerhalb Irans
und Abtransport des gesamten angereicherten Material aus dem Iran. Und wenn
ich sage alles Material, dann meine ich alles Material.“
Mit Qom meinte Netanjahu die fast 100 Meter unter einem Berg liegende
Anreicherungsanlage, die allgemein unter dem Namen Fordow bekannter ist. Sie
gilt als mit konventionellen Bomben kaum zerstörbar.
Kurz nach Netanjahus Äußerung berichtete die israelische Tageszeitung
Haaretz in ihrer Online-Ausgabe, dass Israel vom Westen verlange, die
Einstellung der iranischen Uran-Anreicherung zur Vorbedingung für die
Wiederaufnahme von Gesprächen zu machen. Abgesandte Tel Avivs seien mit
diesem Begehren unter anderem in den USA, Großbritannien, Frankreich und
Deutschland vorstellig geworden. Das überwiegend liberale Blatt berief sich
für diese Darstellung auf angebliche Informationen eines nicht namentlich
genannten höheren Beamten des israelischen Außenministeriums.
Tatsächlich hatte der Westen diese Vorbedingung schon einmal gestellt,
nachdem das EU-Trio Großbritannien, Frankreich und Deutschland im August
2005 seine Gespräche mit dem Iran abgebrochen hatte. Später wurde diese
Bedingung stillschweigend fallen gelassen, jedoch nicht ausdrücklich
zurückgenommen. Formal betrachtet handelt es sich bei den Kontakten zwischen
Iran und der Sechsergruppe – den fünf ständigen Mitgliedern des
UN-Sicherheitsrats plus Deutschland – auch weiterhin nicht um Verhandlungen,
sondern nur um Gespräche über die Aufnahme von Verhandlungen.
Das letzte Treffen dieser Art fand im Januar 2011 in Istanbul statt. Iran
hat eine Fortsetzung angeboten, die EU und die USA zögern noch. Der
öffentliche israelische Vorstoß zielt offenbar darauf ab, ihre Entscheidung
massiv zu beeinflussen.
* Aus: junge welt, 5. März 2012
Sehen und gesehen werden
Auf dem Jahreskongress der Israel-Lobby ist Obama für "die beste Nebenrolle" nominiert.
Von Knut Mellenthin **
Am Sonntagmorgen (4. März) begann in Washington die „Politische Konferenz“
der offiziellen Pro-Israel-Lobby AIPAC. Das Großereignis wird am Dienstag (6. März)
mit Grußadressen der republikanischen Präsidentschaftsbewerber Mitt Romney,
Rick Santorum und Newt Gingrich enden.
Die Kongresse des AIPAC finden in jedem Jahr um diese Zeit statt. Sie
versammeln alles, was in Regierung und Opposition Rang und Bedeutung hat –
oder gern haben würde. Für Abgeordnete und Senatoren besteht fast schon
Anwesenheitspflicht. Wer der Ehre gewürdigt wird, ein paar Worte an das über
5000 Menschen zählende Publikum richten zu dürfen, ist gut beraten, nicht
nur hundertprozentig die Positionen der israelischen Regierung zu
wiederholen, sondern dabei auch Enthusiasmus zur Schau zu stellen.
Geringfügige Abweichungen von der Linie – die ohnehin kaum vorkommen -,
werden mit deutlichem Murren oder eisigem Schweigen quittiert, die dem
Redner noch jahrelang anhängen. Dagegen kann man mit schamlosen
Übertreibungen, denen sich selbst israelische Rechte nicht in jedem Fall
anschließen würden, kaum etwas verkehrt machen.
Die dreitägige Konferenz wird in diesem Jahr voraussichtlich ganz im Zeichen
der Kriegshetze gegen Iran stehen. Israels Regierung und die Lobby wollen
erreichen, dass Präsident Barack Obama sich verbindlich und unwiderruflich
auf Militäroperation festlegt, sobald Teheran bestimmte „rote Linien“
überschreitet. Der AIPAC hat sich vor einigen Tagen mit seiner Forderung
durchgesetzt, dass schon das Erreichen der sogenannten Atomwaffenfähigkeit
(nuclear weapon capability) - und nicht etwa erst die Entwicklung solcher
Waffen - als „rote Linie“ zu gelten hat.
Obama hatte
als erster Hauptredner am Sonntagvormittag Gelegenheit, dem
Publikum die gewünschten „Zusicherungen“ vorzutragen. Seinen sachlich nicht
gerechtfertigten, aber für die Lobby durchaus politisch nützlichen Ruf, er
sei der israelfeindlichste Präsident, den die USA jemals hatten, wird er
allerdings selbst damit vermutlich nicht losgeworden sein.
Am heutigen Montag (5. März) wird Obama im Weißen Haus mit dem israelischen
Premierminister Benjamin Netanjahu zusammentreffen. Dieser wird dem
Gastgeber noch einmal scharf und deutlich erklären, wie unwillkommen seiner
Regierung alle US-amerikanischen Ratschläge für den richtigen Zeitpunkt des
Angriffbeginns gegen Iran sind.
Anschließend wird Netanjahu auf der abendlichen „Gala“, dem eigentlichen
Höhepunkt der AIPAC-Konferenz, auftreten. Sollte er dann, umtost von
standing ovations im Minutentakt, verkünden, dass Obama sich total seiner
Meinung angeschlossen habe, würde dieser wohl kaum Lust zu einem Dementi
haben.
** Aus: junge welt, 5. März 2012
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