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Verwirrspiel ums Irans Atomabsichten

Russland bleibt am Drücker - BND im Zwielicht - Westen kompromisslos

Im Folgenden zwei Artikel vom selben Tag aus einer Zeitung. Der Autor, Knut Mellenthin, hat sich in den letzten Monaten wie kaum ein anderer Journalist kontinuierlich mit dem Thema befasst.



Iran für weitere Verhandlungen offen

Teheran will Gespräche ohne Vorbedingungen. Moskaus Angebot zu Urananreicherung bleibt auf dem Tisch

Von Knut Mellenthin

Iranische Politiker haben sich am Wochenende für die Wiederaufnahme der internationalen Verhandlungen über das zivile Atomprogramm des Landes ausgesprochen. Zuvor müßten die Regierungen der USA und der EU aber ihre Vorbedingungen fallenlassen. Die NATO-Staaten wollen durch Drohungen mit Wirtschaftssanktionen und Militärschlägen erzwingen, daß Iran das von ihnen angestrebte Endergebnis der Verhandlungen – Verzicht auf Urananreicherung – schon jetzt ohne jede Gegenleistung akzeptiert.

Der Spiegel meldete am Wochenende in der Online-Ausgabe, Iran habe dem deutschen Außenministerium eine Botschaft übermittelt, daß man bereit sei, »über das russische Angebot einer gemeinsamen Urananreicherungsanlage zu verhandeln. Eine Bedingung der Iraner sei es, daß China an diesem Joint-Venture ebenfalls beteiligt werde.«

Tatsächlich ist es kein Geheimnis, daß Iran die russischen Vorschläge bisher, im Gegensatz zu weitverbreiteten Falschmeldungen deutscher und anderer Medien, keineswegs abgelehnt hat. Die Verhandlungen laufen weiter. Darauf hat unter anderem Rußlands Präsident Wladimir Putin bei seinem kürzlichen Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel hingewiesen. Iranische Sprecher bekräftigten am Wochenende nochmals, daß diese Diskussionen weitergeführt werden sollen.

Ein erstes russisch-iranisches Gespräch hatte am 7. Januar in Teheran stattgefunden. Das nächste ist für den 16. Februar in Moskau vereinbart. Iran will Präzisierungen und Nachbesserungen des russischen Vorschlags erreichen. Zu der Behauptung des Spiegel, Iran fordere eine Beteiligung Chinas, sagte der Sprecher des Teheraner Außenministeriums, Hamid Reza Asefi, am Sonntag: »Einen solchen Vorschlag haben wir noch nicht bekommen. Wenn er uns vorgelegt würde, würden wir ihn einbeziehen.«

Unterdessen hat die israelische Regierung am Wochenende ihre militärischen Drohungen nochmals verschärft. Verteidigungsminister Schaul Mofas sagte am Sonnabend, Israel werde »iranische Atomwaffen nicht akzeptieren«. Der Iran stelle eine Bedrohung nicht nur für Israel, sondern für die gesamte Welt dar. Zur Zeit sei man zwar noch mit den westlichen »diplomatischen Anstrengungen« zufrieden. Israel behalte sich aber das Recht vor, »notfalls« auch im Alleingang militärisch zuzuschlagen und müsse sich auf diese Option vorbereiten. Die Iraner sollten an frühere Feinde Israels denken, die »nur Zerstörung über ihr eigenes Volk gebracht« hätten, so Mofas.

Der iranische Außenamtssprecher Asefi kommentierte die israelischen Drohungen als »kindisches Spiel« und »psychologische Kriegführung«. Der israelischen Regierung gehe es lediglich darum, den westlichen Druck auf Iran zu steigern. »Israel weiß genau, was für ein tödlicher Fehler es wäre, Iran anzugreifen«, sagte Asefi.

Aus: junge Welt, 23. Januar 2006


Entenangriff auf Iran

Gezielte »Mißverständnisse« zu Kernforschung sollen offensichtlich Teheran in schlechtes Licht rücken. Aussagen des IAEA-Chefs bewußt falsch interpretiert?

Von Knut Mellenthin

Fast täglich neue Schreckensnachrichten aus Teheran. Am Wochenende meldete die Nachrichtenagentur UPI, daß noch vor dem iranischen Neujahrsfest am 20. März ein erster Atombombentest stattfinden soll. Stichwortgeber des Gerüchts: eine in den USA ansässige »Oppositionsgruppe«, die sich, ohne irgendwelche Einzelheiten zu nennen, auf »voneinander unabhängige Quellen in den USA und im Iran« beruft. Ach so, gleich mehrere Quellen, dann muß es ja wohl stimmen.

Am Donnerstag vergangener Woche erschreckte Spiegel online an herausragender Stelle mit der Überschrift »Iran könnte schon bald die Atombombe bauen«. »Der BND geht davon aus, daß Iran schon in wenigen Monaten eine Atombombe bauen könnte«, hieß es in der ungezeichneten Meldung. Das habe der Chef des Bundesnachrichtendienstes, Ernst Uhrlau, am Mittwoch in einem Vortrag vor dem Auswärtigen Ausschuß des Bundestages mitgeteilt.

Etwas später war bei Spiegel online ein langer Artikel des »Geheimdienstexperten« der Redaktion, Matthias Gebauer, zu lesen. Überschrift war jetzt: »Versteckspiel mit den Kontrolleuren«. Auch dort hieß es, Iran sei »laut BND-Erkenntnissen möglicherweise nur wenige Monate vom Bau einer Atombombe entfernt«. Eine Stunde später las man bei dem Internetportal statt dessen: »Zeitungsmeldungen, der Iran sei laut BND-Erkenntnissen möglicherweise nur wenige Monate vom Bau einer Atombombe entfernt, wurden jedoch vom BND umgehend dementiert.«

Anscheinend waren die Worte Uhrlaus bei einigen Bundestagsabgeordneten, denen der Spiegel seine Falschmeldung verdankte, falsch angekommen. Da möchte man doch gar zu gern wissen, was Deutschlands oberster Geheimdienstler denn nun tatsächlich, wortwörtlich, gesagt hat – und ob er sich wirklich klar genug ausgedrückt hat oder ob er vielleicht Mißverständnisse geradezu provozieren wollte.

Offenbar hat Uhrlau, abgesehen von diesem einen Punkt, im übrigen der Darstellung seines Vortrags durch Matthias Gebauer, die voller falscher Behauptungen und unbewiesener, eher unwahrscheinlicher Spekulationen ist, nicht widersprochen. So etwa folgenden Sätzen, die vermutlich die Grundlage für das »Mißverständnis« gegeben hatten: »Uhrlau führte in der Sitzung aus, die ›Rezeption‹ der iranischen Planungen bei der Atomkontrollbehörde IAEA habe sich drastisch geändert. Dort fürchte man, daß der Iran innerhalb von Monaten zum Bau einer Bombe in der Lage sei.«

Auch hier die Frage: Hat Uhrlau in verantwortungsloser Weise wild herumfabuliert – oder hat man ihn lediglich total falsch verstanden? Der Generalsekretär der IAEA, Mohamed ElBaradei, hat in seinen etwa vierteljährlich zu erstattenden Berichten immer wieder festgestellt, daß sich bei den sehr gründlichen Untersuchungen keine Hinweise auf iranische Entwicklungsarbeiten an der Atomwaffe ergeben haben.

Die Uhrlau zugeschriebenen Äußerungen beziehen sich offenbar auf ein Interview ElBaradeis mit dem US-Nachrichtenmagazin Newsweek in dessen jüngster Ausgabe. Der IAEA-Generalsekretär hatte dort gesagt: »Wenn sie nukleares Material haben und wenn sie ein paralleles Waffenentwicklungsprogramm laufen haben, dann sind sie wirklich nicht weit – ein paar Monate – von der Atomwaffe entfernt.« Im selben Interview mit Newsweek bestätigte ElBaradei aber nochmals, daß die IAEA absolut keine Anzeichen für ein iranisches Atomwaffenprogramm hat. Seine Äußerungen waren also rein hypothetisch gemeint. Iran besitzt nach den Erkenntnissen der IAEA auch keine funktionierende Anreicherungsanlage, geschweige denn hochangereichertes, waffenfähiges Uran. Selbst kühnste, politisch motivierte israelische »Schätzungen« sehen den Iran frühestens im Jahr 2008 im Besitz einer Atomwaffe. US-Institute rechnen eher mit einem Zeitraum von zehn Jahren. Immer vorausgesetzt, der Iran würde solche Waffen überhaupt wollen und mit den Arbeiten daran beginnen.

Aus: junge Welt, 23. Januar 2006


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