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Der gar nicht lachende Dritte

Israels Ministerpräsident will Barack Obama und der Welt "die Wahrheit" über Iran sagen

Von Oliver Eberhardt, Jerusalem *

Nach dem Telefonat von US-Präsident Barack Obama mit seinem iranischen Amtskollegen Hassan Ruhani ist Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu in New York eingetroffen: Er werde der Welt die Wahrheit über das »iranische Süßholzgeraspel« sagen. Zu Hause nimmt derweil die Kritik an seinem Vorgehen zu.

Israels Regierung tut das, was sie seit Kurzem immer tut, wenn es kritisch wird: Sie schweigt. Stattdessen zeigt man an ungewohnter Stelle Offenheit: Am Sonntagmorgen überraschte der israelische Inlandsgeheimdienst Schin Beth mit einem regelrechten Redeanfall.

Man habe am Flughafen Tel Aviv einen Belgier festgenommen, der für Iran spioniert habe, teilte man mit. Er habe gestanden, dass ihm von Iran eine Million US-Dollar dafür angeboten wurden, dass er Kontakte zu Geschäftsleuten knüpft und Bilder von israelischen und US-amerikanischen Einrichtungen liefert. Die Fotos schickte man gleich mit: Sie zeigen die USA-Botschaft und den Abfertigungsbereich des Flughafens.

Zufall? Bei Internetnutzern sorgte die Nachricht für Häme – Bilder wie diese sind im Netz zu Tausenden gratis verfügbar. Doch für Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu bilden sie die Grundlage seiner Argumentation gegen das Tauwetter zwischen den USA und Iran: »Zur selben Zeit, zu der Iran Terrorismus auf amerikanischem Boden verurteilt, sammelt er Informationen für einen möglichen Anschlag gegen die USA-Botschaft in Israel«, sagte der rechtskonservative Premier am Sonntag kurz nach seinem Eintreffen in New York.

Die Reise war geplant. Doch seit dem »historischen« Telefonat am Freitagabend ist sie für Netanjahu zu einer Mission geworden, »bei der es um das eigene politische Überleben geht«, wie ein Kommentator des israelischen Militärradios zusammenfasste. Denn der Ministerpräsident ist im Wahlkampf nahezu ausschließlich mit der Darstellung angetreten, er sei der Einzige, der der »iranischen Bedrohung« die Stirn bieten könne. 23,34 Prozent der Wähler gaben seinem Wahlbündnis Likud/Beitenu dafür ihre Stimme. Ohne Nemesis, so der Kommentator, »verliert der starke Mann die Kraft«. Doch damals im Januar war Mahmud Ahmadinedschad noch Irans Präsident, und 62 Prozent der Israelis waren in einer vor der Wahl veröffentlichten Umfrage der Ansicht, ein Militärschlag sei die einzige Möglichkeit, den Iranern Einhalt zu gebieten.

Eine Auseinandersetzung mit den politischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten in Iran fand in Israel noch bis vor Kurzem nahezu ausschließlich in den Universitäten und beim Auslandsgeheimdienst Mossad statt, der immer wieder seine früheren Chefs vorschickte, um öffentlich vor den Folgen eines Militärschlags zu warnen. Nun hat sich das geändert: Die Öffentlichkeit hat wahrgenommen, dass Irans neuer Präsident Hassan Ruhani und sein Außenminister Mohammed Dschawad Sarif zum jüdischen Neujahrsfest gratulierten, und in den Medien wird zunehmend die Frage erörtert, was »da drüben« eigentlich los ist. In einer am Sonntag veröffentlichten Umfrage erklärten 84 Prozent der Befragten, sie seien dafür, den Dialog zu suchen. Selbst in der Regierung mehren sich die kritischen Stimmen: So mahnte Justizministerin Zippi Livni, die auch für die Verhandlungen mit den Palästinensern zuständig ist, man müsse auch an das große Ganze denken. Irgendwann, möglicherweise eher früher als später, werde der 74-jährige geistliche Führer Irans, Ayatollah Ali Chamenei, abtreten müssen, und es stelle sich die Frage, welche Auswirkung eine fortgesetzte Isolation auf seine Nachfolge und damit auch auf die künftige Politik haben wird.

Doch in der Umgebung Netanjahus standen zumindest vor dem Redeverbot solche Fragen noch nicht zur Diskussion: Vielmehr beschwert man sich dort darüber, dass das Weiße Haus nicht mehr nur auf Distanz zu Netanjahu geht, sondern ihn, wie man es hier sieht, offen brüskiert. Der Premier habe erst von Journalisten von dem geplanten Telefonat Barack Obamas mit Hassan Ruhani erfahren. Man befürchtet, dass nun der Druck aus Washington stärker werden wird, Ergebnisse in den Verhandlungen mit den Palästinensern zu erzielen – was Netanjahu allerdings nicht kann, weil die Siedlerpartei, aber vor allem auch der rechte Rand des eigenen Wahlbündnisses vehement dagegen sind.

* Aus: neues deutschland, Montag, 30. September 2013


Das Ende eines Tabus? **

Hassan Ruhani war bereits auf dem Weg zum Flughafen in New York, wo er vor der UN-Vollversammlung gesprochen hatte, als er einen Anruf erhielt: Barack Obama wolle ihn »einige Minuten sprechen«. So zumindest stellt es Irans Präsident dar. Er habe das akzeptiert, sagte Ruhani nach seiner Rückkehr nach Teheran am Sonnabend, denn die Gelegenheit habe genutzt werden müssen.

So sprachen die beiden Präsidenten am Freitag eine Viertelstunde per Telefon über Möglichkeiten zur Beilegung des Atomkonflikts. Es war das erste Gespräch der Präsidenten beider Staaten seit der Iranischen Revolution 1979. Obama sagte, es gebe die Chance, die »schwierige Geschichte« hinter sich zu lassen«. Zwar gebe es noch »bedeutende Hindernisse«, doch glaube er, »dass wir eine umfassende Lösung finden können«.

In Teheran wurde Ruhani bereits am Flughafen von einigen hundert begeisterten Anhängern empfangen. Allerdings gab es auch Proteste einer kleineren Gruppe von Kritikern, die »Tod Amerika« und »Tod Israel« skandierten. Die iranische Presse aber bewertete das Telefonat überwiegend zustimmend. Die Reformzeitung »Arman« sprach vom »Ende eines Tabus«.

Der iranische Präsident betonte, er habe gemäß der Linie des geistlichen Oberhaupts Ayatollah Ali Chamenei, der von der Notwendigkeit »heroischer Flexibilität« gesprochen hatte, die Position Irans verteidigt. Bei den »Rechten« und »Zielen der Nation« habe er keine Zugeständnisse gemacht.

Irans Außenminister Mohammed Dschawad Sarif vereinbarte derweil mit seinen Kollegen aus der 5+1-Gruppe (fünf UN-Vetomächte und Deutschland) die Fortsetzung der Verhandlungen ab 15. Oktober in Genf. Im Zentrum des Streits steht Irans Vorhaben zur Urananreicherung. Vizeaußenminister Abbas Araghtschi sagte am Sonntag, Iran sei bereit, über »den Rahmen, das Niveau, die Form und den Ort« der Urananreicherung zu verhandeln, solange sein Recht zur Anreicherung nicht grundsätzlich in Frage gestellt werde. Eine komplette Aufgabe komme nicht in Frage. Genau die aber strebt der Westen an, damit Iran nicht die technische Möglichkeit erlangt, waffenfähiges Uran herzustellen.

** Aus: neues deutschland, Montag, 30. September 2013


Strategiewechsel?

Kontakte zwischen USA und Iran

Von Werner Pirker ***


Es sei nicht das Ziel der USA, im Iran einen »Regime change« durchzusetzen, erklärte US-Präsident Barack Obama in seiner jüngsten Rede vor der UNO. Und in seinem Telefonat mit dem iranischen Präsidenten Hassan Rohani gestand er Teheran auch noch das Recht auf friedliche Nutzung der Atomenergie ein. Worte, die weltweit aufhorchen ließen. Obwohl sie Selbstverständlichkeiten zum Ausdruck brachten. Oder steht es irgendwo geschrieben, daß den USA das Recht zustünde, Regime nach eigenem Gutdünken auszuwechseln? Und bedarf es erst einer speziellen Zustimmung aus Washington, daß der Iran von seinem Recht auf friedliche Nutzung der Atomenergie Gebrauch machen kann?

Aber immerhin hat Obama damit zu verstehen gegeben, daß die USA unter Umständen bereit sein könnten, den Iran als Völkerrechtssubjekt zu respektieren und nicht länger wie einen Aussätzigen unter den Nationen zu behandeln. Daß der US-Präsident von Teheran Transparenz hinsichtlich seines Atomprogramms einforderte, nimmt sich angesichts des über den Iran verhängten internationalen Kontrollregimes wie ein schlechter Scherz aus. Auch daß jetzt in Washington so getan wird, als hätte es in Teheran eines halben Regimewechsels – von Ahmadinedschad zu Rohani – bedurft, um das Land vom Bau der Atombombe abzubringen. Dabei wird schlicht ignoriert, daß Irans geistlicher Führer Ali Khamenei die Entwicklung von Nuklearwaffen schon vor Jahren in Form einer Fatwa verboten hat – ein Gebot, gegen das ein theokratisches Regime wohl nur bei Strafe seiner völligen Delegitimierung verstoßen könnte. Die Behandlung, unter der die Islamische Republik Iran zu leiden hat, steht in einem krassen Gegensatz zur Behandlung, der sich Israel erfreut. Den schikanösen Kontrollen auf der einen entspricht generöses Wegschauen auf der anderen Seite. Bar jeder Transparenz hat sich Israel zur Atommacht entwickelt, ohne seine Nuklearwaffen je öffentlich deklariert zu haben.

Aber immerhin: Die gleichen Worte aus Teheran, die Washington früher als dreiste Lügen zurückgewiesen hat, nimmt es nun als Verhandlungsangebot wahr. Weil Obama neben der kriegerischen offenbar auch die »Wandel durch Annäherung«-Option in Erwägung zieht. Beide haben die Festigung der US-Hegemonie in der Region zum Ziel. Beide orientieren auf die Zerstörung der von Syrien, der Hamas und dem Iran gebildeten »Achse des Widerstandes«, der sich bald auch der Irak anschließen könnte. Hieß es bis vor kurzem, daß der Weg nach Teheran über Damaskus führt – der Iran als der strategische Hauptfeind sollte seines wichtigsten Verbündeten beraubt werden – könnte nun die umgekehrte Strategie verfolgt werden. Die Isolierung Syriens durch eine Annäherung an den Iran. Und über eine solche Annäherung, hofft man, könnte vielleicht tatsächlich ein sanfter Regimewechsel eingeleitet werden. Doch zeigen diese Manöver auch, daß der Widerstand nicht ohne Wirkung geblieben ist.

*** Aus: junge Welt, Montag, 30. September 2013 (Kommentar)


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