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Al-Sadr schwört USA ewige Feindschaft

Irakische Regierung und Besatzer wollen schiitische Bewegung politisch und militärisch schwächen

Von Karin Leukefeld *

US-amerikanische und irakische Truppen gehen weiter gegen die sogenannte Mahdi Armee vor. In der Hafenstadt Basra im Süden des Landes setzten irakische Sicherheitskräfte ihre Razzien fort und hoben nach eigenen Angaben am Sonntag (13. April) ein Versteck mit Waffen und Sprengsätzen aus. Nach Angaben der Schiiten-Organisation nahmen sie am selben Tag in Basra fünf Gefolgsleute Al-Sadrs fest.

Im südirakischen Nadschaf war am Freitag (11. April) Riyad al-Nuri, ein enger Mitarbeiter und Schwager des irakischen Geistlichen und Politikers Muktada al-Sadr, getötet worden. In einer scharfen Stellungnahme machte Al-Sadr die »US-Besatzung« für den Tod Al-Nuris verantwortlich. Sadr reagierte gleichzeitig auf eine Äußerung von US-Verteidigungsminister Robert Gates, der ebenfalls am Freitag erklärt hatte, alle, die sich in Irak am politischen Prozess beteiligten, seien »keine Feinde der Vereinigten Staaten«. Die USA würden »bis zum letzten Blutstropfen« sein Feind bleiben, lautete die Antwort von Muktada Sadr. Seine Bewegung werde »angemessen« reagieren, seine Anhänger sollten ihre Waffen nicht gegen Iraker richten, »solange sie nicht den Besatzern helfen«. Damit dürften die irakischen Truppen gemeint sein, die seit Ende März mit US-amerikanischer und britischer Hilfe gegen die Milizen der Sadr-Bewegung, die Mahdi Armee, vorgehen. Besonders stark von den Operationen betroffen ist das Armenviertel Bagdads, Sadr City, wo nach Angaben des US-Militärs »Kriminelle« ausgeschaltet werden sollen, die mehrfach Raketen auf die »Grüne Zone« abgefeuert hätten.

Ministerpräsident Nuri al-Maliki sagte in einem Interview mit dem US-Nachrichtensender CNN: »Wir werden nicht aufhören, bevor wir die volle Kontrolle über dieses Gebiet haben.« Das mit hohen Mauern und Stacheldraht abgeschirmte Areal ist heute Sitz der US-Botschaft sowie der irakischen Regierung. Ob Milizen der Mahdi Armee tatsächlich hinter den Angriffen auf die »Grüne Zone« stehen, ist nicht nachgewiesen.

Das harte Vorgehen gegen die Mahdi Armee und die Bewegung von Muktada Sadr wird in Irak zunehmend kritisiert, zumal Sadr erst vor wenigen Wochen einen seit August geltenden Waffenstillstand um weitere sechs Monate verlängert hatte. »Die Militäroperation gefährdet den Waffenstillstand«, sagte Hazim Yassin al-Saffar, der internationales Recht an der Universität von Basra lehrt, gegenüber dem UN-Informationsnetzwerk IRIN. »Die Regierung hat keine Ahnung davon, wie tief die Sadr-Bewegung in der irakischen Gesellschaft verankert ist.«

Die Familie von Muktada Sadr spielt in Irak politisch und religiös seit Jahrzehnten eine bedeutende Rolle. Nach dem Sturz der alten Regierung und dem Zerfall der öffentlichen Ordnung 2003 formte Sadr die Mahdi Milizen, die zunächst in Sadr City, dem früheren Saddam City, für Ordnung sorgten. Sie halfen bei der Rückgabe geplünderter Güter, bei der Lebensmittel- und Medikamentenverteilung und waren Ansprechpartner für die Bevölkerung. Die Milizen waren zwar bewaffnet, doch war ihr Auftrag nicht primär militärisch. Viele junge Männer, die durch den Krieg ihre wirtschaftliche Existenz verloren hatten, fanden als Milizionäre Anerkennung und erhielten einen geringen Lohn. Die militärischen Auseinandersetzungen begannen erst, nachdem die Badr Brigaden, die Milizen des Hohen Islamischen Rates in Irak, ihren Alleinvertretungsanspruch behaupteten und gegen die Mahdi Armee vorgingen. Zusätzlich entstanden kriminelle Gruppen innerhalb der Mahdi Armee. Der Waffenstillstand sollte auch einer internen Säuberung dienen.

Bei den Wahlen Anfang 2005 gelang der Sadr-Bewegung der Sprung ins Parlament, wo sie anfangs die Regierung von Ibrahim al-Dschafari und dessen Nachfolger Al-Maliki unterstützte. Nun aber scheint Maliki entschlossen, den einstigen Verbündeten nicht nur militärisch, sondern auch politisch zu vernichten. »Es gibt die Entscheidung, dass sie kein Recht haben, sich am politischen Prozess zu beteiligen oder an den nächsten Wahlen teilzunehmen, solange sie die Mahdi Armee nicht auflösen«, erklärte der Premier und bestätigte, was viele Schiiten in Irak für den eigentlich Grund der Militäroffensive halten: Die Sadr-Bewegung soll vor den für Herbst geplanten regionalen Parlamentswahlen geschwächt werden.

* Aus: Neues Deutschland, 15. April 2008


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