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Indien im "Mars-Klub"

Raummission geglückt. Premier Modi bejubelt »historische Errungenschaft«

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

Nach mehr als zehnmonatigem Flug hat Indien am Mittwoch seine Weltraumsonde »Mangalyaan« (Marsschiff) in eine Umlaufbahn des roten Planeten gebracht. Der Erfolg der Wissenschaftler und Techniker im Weltraumforschungszentrum Bangalore (ISRO) ist umso größer, da die indische Marsmission damit gleich im ersten Anlauf glückte. Andere Länder hatten zuvor mehrere Versuche gebraucht. Premierminister Narendra Modi folgte den technischen Manövern in Bangalore und lobte, mit dem geglückten Manöver seien die »Grenzen menschlichen Unternehmungsgeistes und Vorstellungsvermögens gesprengt« worden.

Zufällig, doch durchaus höchst willkommen, gelang die indische »Mars Orbiter Mission« (MOM) zudem kurz vor dem Abflug von Regierungschef Modi zur UN-Vollversammlung in New York und zu seinem mit großen Erwartungen verbundenen Treffen mit US-Präsident Barack Obama in Washington. Beide haben nun ein zusätzliches Gesprächsthema, denn die US-Raumfahrtbehörde NASA brachte einen Tag zuvor ihre Sonde »Maven« in den Marsorbit. Mit Genugtuung verwies Modi in seiner ersten Stellungnahme darauf, daß Indien jetzt gemeinsam mit den Raumagenturen der USA, Europas und Rußlands zu der »Elitegruppe« gehöre, die den roten Planeten erkundet. Ein Prestigegewinn ist der Atommacht sicher. Zweifellos befeuert diese neue Position auch das Streben des Schwellenlandes nach einem Status als Supermacht, zumal die Marsexpeditionen Chinas und Japans bislang erfolglos geblieben sind. Von insgesamt 51 internationalen Versuchen scheiterten 30.

Der Erfolg fällt der im Mai gebildeten Regierung der hindu-nationalistischen Indischen Volkspartei (BJP) sozusagen in den Schoß. Die Mission war im August 2012 vom damaligen Premier Manmohan Singh angekündigt und in sensationell kurzer Zeit mit relativ geringem finanziellen Aufwand von rund 4,5 Milliarden indischen Rupien (umgerechnet etwa 58 Millionen Euro) verwirklicht worden. Die Produktionskosten mancher Bollywood-Filme sind höher. Premier Modi konnte nun die Früchte ernten, von einer »historischen Errungenschaft« sprechen und die ISRO-Mitarbeiter enthusiastisch loben. Sie würden mit ihren »Leistungen die Vorväter ehren, künftige Generationen inspirieren und einen Beitrag zur Stärkung der Nation leisten«.

Am 5. November 2013 war die mächtige Vierstufenrakete PSLV-C25 mit der »Mangalyaan«-Sonde an Bord vom Weltraumbahnhof Sriharikota an der südostindischen Küste gestartet. Seitdem mußte sie eine Strecke von 680 Millionen Kilometern zurücklegen. Alle Systeme funktionierten einwandfrei. Die Sonde ist ausgerüstet mit einem Methansensor, einem Infrarotwärmespektrometer, einer Farbkamera und einem Photometer. Oberfläche, Mineralogie, Gehalt an Wasserstoff und Deuterium sowie an Methan als Hinweis auf eventuelles Leben auf dem Planeten sollen erkundet und gemessen, die Marstrabanten Phobos und Deimos fotografiert werden. Mindestens ein halbes Jahr wird der Satellit den Plänen nach nun auf einer elliptischen Bahn in einer Entfernung zwischen 423 und 80000 Kilometern den Mars umkreisen.

»Heute ist Geschichte geschrieben worden. Wir haben das fast Unmögliche geschafft. Ich gratuliere allen ISRO-Wissenschaftlern und allen Landsleuten zu dieser historischen Errungenschaft«, jubelte Modi. Er meinte damit auch das gesamte Paket einheimischer Technologie, mit der das Weltraumabenteuer gemeistert wurde. Das »Marsschiff«, die Raketenstufen, der Treibstoff, die Startrampe, der Satellit, die Geräte und Instrumente – alles ist »made in India«. Über 500 Techniker und Wissenschaftler haben an dem Projekt mitgewirkt.

In der Euphorie gehen die kritischen Stimmen unter. Sie halten die Marsmission angesichts von Massenarmut, Problemen im Bildungssystem, einem Mangel an Toiletten und hoher Säuglingssterblichkeit für ein »Luxusprojekt«. ISRO hält dem entgegen, die Kosten seien vergleichsweise gering, und man ziehe stets den gesellschaftlichen Nutzen in Betracht. Jede in ISRO investierte Rupie habe mehr als zwei Rupien Gewinn für die Nation gebracht.

* Aus: junge Welt, Donnerstag 25. September 2014


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