Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

EU rote Karte zeigen

Gastkommentar: Druck auf griechische Regierung

Von Lydia Krüger *

Die EU lässt Griechenland am ausgestreckten Arm verhungern. Athen müsse seine »Verpflichtungen« erfüllen, neue »Reformlisten« vorlegen und von den »Institutionen« absegnen lassen, so das Mantra, das Alexis Tsipras von den wichtigsten EU-Vertretern am Donnerstag abend zu hören bekam. Was das bedeutet, zeigt der Streit um ein Sozialprogramm im Umfang von 200 Millionen Euro, das Essen, Strom und Wohngeld für die Ärmsten in Griechenland vorsieht. Als es am Mittwoch vom Athener Parlament beschlossen wurde, liefen die »Institutionen« Sturm und zückten die rote Karte gegen Tsipras wegen des Verstoßes gegen (angebliche) Verpflichtungen. Während die Europäische Zentralbank Monat für Monat 60 Milliarden Euro an Großbanken und Oligarchen verfüttert, will man Arme weiter hungern und im Dunkeln sitzen lassen.

200 Millionen Euro: So viel zahlte Griechenland im Jahr seines Euro-Beitritts 2001 für 24 Panzerhaubitzen an die deutsche Firma Krauss Maffei – Schmiergeld sei Dank. 200 Millionen Euro kostete ein Lärmschutztunnel an der A1 in Köln, so viel will die Deutsche Bahn in den nächsten Jahren investieren, um den Komfort in Fernreisezügen zu verbessern. Nichts gegen Lärmschutz oder Reisekomfort, aber wer ein bescheidenes Sozialprogramm derart torpediert, hat keinerlei Respekt vor Demokratie und Bevölkerung.

Die EU will an der griechischen Linksregierung ein Exempel statuieren, um Alternativen zu ihrer unsozialen Politik schon im Keim zu ersticken. Rechte Regierungen haben es da leichter. Während man Tsipras die Auszahlung fälliger Kredittranchen verweigert, konnte sich der ukrainische Präsident Petro Poroschenko vor einer Woche über fünf Milliarden US-Dollar des Internationalen Währungsfonds (IWF) freuen. Insgesamt hat der IWF der Ukraine neue Kredite in Höhe von 17,5 Milliarden Dollar bewilligt, die EU will weitere 1,8 Milliarden Euro beisteuern. Das Geld, das man der griechischen Bevölkerung abpresst, um IWF-Kredite zu bedienen, landet am Ende wohl in den Taschen der Waffenkonzerne. So will die Ukraine ihre Rüstungsausgaben in diesem Jahr auf 3,8 Milliarden Dollar hochschrauben, was den Anteil dieser Ausgaben am Bruttoinlandsprodukt von 1,25 auf 5,2 Prozent erhöhen wird.

Zu behaupten, dass die Gläubiger mit zweierlei Maß messen, wäre dennoch irreführend. Sollte Poroschenko auf die Idee kommen, mit den IWF-Krediten keine Waffen zu kaufen, sondern Sozialprogramme aufzulegen und in der Ostukraine wieder Renten auszuzahlen, wäre der Kredithahn schnell zu und das Geschrei über die Missachtung der »Verpflichtungen« groß. Da es den »Institutionen« immer schwerer fallen dürfte, ihre hässliche Fratze hinter scheinbar neutralem Wortgeklingel zu verbergen, bleibt immerhin die Hoffnung, dass die Bevölkerung in weiteren Ländern aufwacht und der EU und den anderen »Institutionen« die rote Karte zeigt.

Lydia Krüger ist Mitglied im wissenschaftlichen Beirat von ATTAC und Mitarbeiterin der Bundestagsabgeordneten Sahra Wagenknecht (Die Linke).

* Aus: junge Welt, Samstag, 21. März 2015


Neue »letzte Chance« für Griechenland

Beim EU-Gipfel beugen sich die EU-Staaten der US-Forderung, Athen im Währungsverbund zu halten **

Es wird teurer, komplizierter und unübersichtlicher: Die Euro-Staaten geben dem hochverschuldeten Griechenland eine weitere »letzte Chance«. Am Rande des EU-Gipfels in Brüssel vereinbarten die Staats- und Regierungschefs am Freitag, im Schnellverfahren »Reformvorhaben« zu prüfen – um dringend benötigtes Geld (Kredite aus dem verlängerten alten »Hilfsprogramm«, es stehen insgesamt noch 7,2 Milliarden Euro zur Verfügung) nach Athen zu überweisen. Das Team von Ministerpräsident Alexis Tsipras muss kurzfristig weitere Verbindlichkeiten begleichen und Schuldendienst leisten. Dazu fehlen die nötigen Milliardensummen.

»Wir haben uns darauf verständigt, jetzt den gesamten Prozess zu beschleunigen«, kleidete Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker den Hickhack in diplomatische Floskeln.

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel räumte ein, dass ein genauer Einblick in die griechischen Bücher weiter fehle. »Aber klar ist auch, dass die Finanzlage nicht einfach ist«, fasste Merkel in der Nacht nach einem dreistündigen Krisengespräch in kleiner Runde die (ohnehin bekannte) Lage zusammen. Am Montag erwartet sie Tsipras zu dessen Antrittsbesuch in Berlin.

Neu ist, dass die Euro-Staaten offensichtlich nach US-Intervention von ihrer harten Linie – Geld nur gegen genehme Reformpläne – wieder abgekommen sind. Am Dienstag hatte Tsipras verkündet, sein geplanter Russland-Besuch werde vorgezogen. Am selben Tag erhielt er Besuch von der Europa-Gouverneurin im US-Außenamt, Victoria Nuland. Über den Inhalt des Gesprächs wurde nichts mitgeteilt.

In der Nacht zum Freitag dann sicherte Tsipras in Brüssel zu, in den nächsten Tagen eine vollständige Liste mit eigenen Reformvorschlägen vorzulegen. Beobachter gehen davon aus, dass dies nicht diejenigen Maßnahmen sein werden, auf die die Euro-Gruppe bisher gedrängt hatte – auf maßgeblichen Druck aus Deutschland und von dessen Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU). Den, so wird kolportiert, hatte Merkel wegen der Vorgaben aus Washington, zunächst aus dem Rennen genommen.

** Aus: junge Welt, Samstag, 21. März 2015


Zurück zur Griechenland-Seite

Zur Griechenland-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage