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Im zweiten Anlauf

Auf den Philippinen beginnt der wegen "Terrorgefahr" verschobene 12. Gipfel der Vereinigung südostasiatischer Nationen

Von Rainer Werning *

Vom 10. bis zum 15. Januar findet in Cebu City, der zweitgrößten Stadt der Philippinen, der verspätete 12. Gipfel der ASEAN statt, der Mitte Dezember kurzerhand abgesagt worden war. Ein Taifun, lautete in der Hauptstadt Manila die offizielle Begründung, sei auf Cebu zugerast und hätte neben der Sicherheit der zehn Staats- und Regierungschefs auch den ordnungsgemäßen Ablauf der Konferenz gefährdet. Tatsächlich jedoch hatten die Regierungen der USA, Großbritanniens, Australiens und Japans ihren Staatsangehörigen nahegelegt, Mitte Dezember Cebu und Umgebung möglichst zu meiden. Die in den Südphilippinen operierende Terrororganisation (durch spektakuläre Geiselnahmen mit anschließenden Lösegelderpressungen international bekannt gewordene) Abu Sayyaf hätte nämlich in Kooperation mit der Jemaah Islamiyah, dem mutmaßlichen regionalen Netzwerk von Al Qaida, Anschläge auf Cebu geplant.

Für die innenpolitisch angeschlagene Gastgeberin, Präsidentin Gloria Macapagal-Arroyo, ist die Verschiebung dieses internationalen Treffens deshalb so peinlich, weil die Philippinen im Januar 2002 nach Afghanistan offiziell zur »zweiten Front im Kampf gegen den weltweiten Terrorismus« erklärt wurden und deren Regierung seit jeher als engster Verbündeter der USA in Südostasien gilt. Ganz oben auf der Agenda des Gipfels, an dem auch die sechs Dialogpartner der ASEAN (China, Japan, Südkorea, Indien, Australien, Neuseeland) teilnehmen, steht neben verstärkter Wirtschaftskooperation und der Diskussion über eine eigene Verfassung der »Kampf gegen den Terror«. Außerdem ist Schadensbegrenzung angesagt. Ein sichtlich genervter Victoriano Lecaros, Manilas Botschafter im Nachbarland Malaysia und einer der Mitorganisatoren des Cebu-Gipfels, schimpft die Kritiker der Konferenz »Miesmacher und notorische Lügner«. Tremoloartig beharrt der Diplomat darauf, widriges Wetter und nicht eine prekäre Sicherheitslage sei letztlich für die Verschiebung der Tagung verantwortlich gewesen.

Etwa 15000 Soldaten und Polizisten werden für den reibungslosen Kongreßverlauf eingesetzt, darunter 500 eigens aus der südlichen Unruheprovinz Jolo abgezogene Marinesoldaten des 7. Marine Battalion Team. Und an sämtlichen internationalen Flughäfen des Landes gilt die Order, Reisende mit indischem, pakistanischem und afghanischem Paß besonders zu filzen. Die Behörden befürchten auch diesmal Anschläge von Al-Qaida- oder Jemaah-Islamiyah-Anhängern. Für die Bevölkerung Cebus bedeutet das Gipfeltreffen Dauerstreß; mehrfach wurden probeweise sämtliche Straßen abgeriegelt und zeitweilig für den Verkehr gesperrt, über die die Limousinen der ausländischen Staatsgäste rollen werden. Überdies kostete allein die Herrichtung der Tagungsstätte, des Cebu International Convention Center, 515 Millionen Peso (etwa 8,6 Millionen Euro). Was die Stadtverwaltung Cebus und die Regierung in Manila unisono als notwendige Stadtverschönerung werten, wurde für über 1500 arme Familien zum Alptraum. Sie wurden über Nacht gewaltsam aus ihren Shantys vertrieben, um Platz zu machen für das pompöse Kongreßzentrum. Insgesamt wird der Gipfel über zwei Milliarden Peso kosten.

Zahlreiche südostasiatische und philippinische Nicht-Regierungsorganisationen und Bürgerrechtsbewegungen kündigten an, mit Großkundgebungen und vielfältigen Protestaktionen den Gipfel in Cebu und anderen Großstädten des Landes zu begleiten. Die Kilusang Mangingisda (Bewegung der Fischer) beispielsweise, ein Zusammenschluß von fünf Fischervereinigungen und 13 Regionalgruppen, plant eine große Bootsparade, um gegen das Überfischen im Südchinesischen Meer zu protestieren. Gleichzeitig steht die desolate Menschenrechtssituation am Pranger. Seit dem Beginn der Amtszeit Arroyos vor sechs Jahren sind annähernd 800 – vornehmlich fortschrittliche und linke – Aktivisten erschossen worden. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International, Human Rights Watch, die in Genf ansässige Internationale Juristenkommission und selbst US-amerikanische Handelskammern sowie große Kaufhausketten rügen die Regierung, eine »Kultur der Straffreiheit« zu dulden und keinen ausreichenden Zeugenschutz zu garantieren. Die Täter, meist Schergen von Armee und Polizei, operieren unbehelligt im Auftrag von »Terrorbekämpfung«.

Hintergrund: Die ASEAN

Die ASEAN (Association of South East Asian Nations; Vereinigung südostasiatischer Nationen) wurde am 8. August 1967 in Thailands Hauptstadt Bangkok auf dem Höhepunkt des Vietnamkrieges gegründet. Im Rahmen der damals bestehenden SEATO, dem südostasiatischen Pendant zur NATO, sollte die ASEAN als sicherheitspolitisches Bollwerk gegen das »kommunistische Indochina« (Vietnam, Laos, Kambodscha) fungieren. Zu den ursprünglich fünf Mitgliedstaaten (Indonesien, Malaysia, Philippinen, Singapur und Thailand) stießen fünf weitere Länder hinzu: im Januar 1984 das an Erdöl reiche Sultanat Brunei, Vietnam (1995), Laos und Myanmar (Birma) (1997) und schließlich 1999 Kambodscha. Die Gesamtfläche der zehn ASEAN-Länder beträgt 4,5 Millionen Quadratkilometer mit einer Gesamtbevölkerung von 558 Millionen Menschen (2005). Im selben Jahr betrug das Bruttosozialprodukt der ASEAN umgerechnet 876 Mrd. US-Dollar.
(rw)


* Aus: junge Welt, 10. Januar 2007


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