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Kabuler Botschaften

Tödlicher Talibananschlag nach Afghanistan-Rede Obamas

Von Olaf Standke *

Ein Jahr nach der Tötung von Al-Qaida-Chef Osama bin Laden hat US-Präsident Barack Obama bei einem Afghanistan-Besuch die Endphase des Krieges am Hindukusch angekündigt. Die Taliban antworteten mit einem Terroranschlag in Kabul, der mindestens elf Menschenleben kostete.

Unter größter Geheimhaltung hatte sich Barack Obama einen symbolträchtigen Termin für seinen dritten Besuch am Hindukusch ausgesucht: Gestern vor einem Jahr tötete ein US- Kommando Osama bin Laden in seinem pakistanischen Versteck. Und vor Soldaten auf dem Luftwaffenstützpunkt Bagram unweit Kabuls versuchte sich der Präsident aus diesem Anlass in Politpoesie: »Wir können das Licht eines neuen Tages am Horizont sehen« - was heißt: »Unser Ziel ist es, Al Qaida zu zerstören, und wir sind auf dem Weg, genau das zu tun.« Nach verlustreichen Jahren stehe das Terrornetzwerk vor der endgültigen Zerstörung, tönte Obama in seiner in den USA live zur besten Sendezeit übertragenen Rede. Nach sieben Stunden war der Blitzbesuch beendet. Obamas designierter republikanischer Herausforderer Mitt Romney warf dem Präsidenten umgehend vor, die Liquidierung Bin Ladens für den Wahlkampf zu missbrauchen.

Kaum war Obama abgehoben, wurden in Kabul mindestens elf Menschen durch ein Selbstmordattentat per Autobombe und bei einem Angriff auf einen Wohnkomplex westlicher Ausländer getötet. Die Taliban übernahmen die Verantwortung und betonten, dass der Anschlag keine Rache für die Ermordung Bin Ladens gewesen sei, sondern eine »Botschaft an Obama«, der in Afghanistan unerwünscht sei. Die Islamisten kündigten für heute den Beginn einer landesweiten gewaltsamen »Frühjahrsoffensive« an, die sich vor allem gegen »ausländische Besatzer, ihre Vertragspartner und alle im militärischen und geheimdienstlichen Bereich tätigen Helfer« richten werde, wie es auf ihrer Internetseite heißt.

In der Nacht zum Mittwoch (2. Mai) hatte Präsident Obama mit seinem afghanischen Amtskollegen Hamid Karsai ein zunächst zehn Jahre laufendes strategisches Partnerschaftsabkommen unterzeichnet, das den Einsatz von US-amerikanischen Soldaten am Hindukusch nach dem offiziellen Abzug der ausländischen ISAF-Truppen Ende 2014 regelt. Allerdings ist jetzt schon klar, dass weiter eine gewisse Zahl von Kampfverbänden der USA in Afghanistan verbleiben wird - zu Ausbildungszwecken und für »Schutzaufgaben«, was bewaffnete Operationen gegen Terroristen einschließen soll. Wie viele genau und welche Kosten entstehen, darüber herrscht noch Schweigen; Einzelheiten für die Übergabe der Sicherheitsverantwortung an Kabul sollen beim NATO-Gipfel Mitte Mai in Chicago festgelegt werden. Washingtoner Regierungsvertreter sprachen von bis zu 20 000 Soldaten. Afghanistan soll den von den USA gewährten Sonderstatus eines »wichtigen Nicht-NATO-Verbündeten« erhalten. Karsai glaubt, dass der Pakt eine »gleichwertige Partnerschaft« zwischen beiden Ländern besiegele.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 3. Mai 2012


Licht in Bagram

Obama nutzt US-Stützpunkt in Afghanistan als Wahlkampfkulisse

Von Knut Mellenthin **


Für sechs Stunden verlegte US-Präsident Barack Obama am Dienstag seinen Wahlkampf nach Afghanistan. Schüttelte Soldatenhände auf dem Stützpunkt Bagram, überreichte zehn Verwundeten in einem Lazarett je ein Purple Heart, unterschrieb in Kabul gemeinsam mit seinem Amtskollegen Hamid Karsai ein angeblich hochbedeutendes Abkommen, und versprach zum Abschluß in einer Fernsehansprache aus Bagram den daheimgebliebenen Amerikanern Frieden auf Erden und das Blaue vom Himmel. Selten enthielt eine Präsidentenrede so viel billigen Schwulst, vom »Licht eines neuen Tages am Horizont« bis zum »Sonnenlicht, das auf den emporragenden neuen Hochhaustürmen in Manhattan glitzert«. Kenner meinen, Obama habe damit exakt den Geschmack des breiten Publikums getroffen.

Über das jetzt unterzeichnete, für zunächst zehn Jahre geltende Strategische Abkommen zwischen Washington und Kabul weiß man im Grunde nur, daß es den USA das Recht sichert, noch mindestens bis zum Jahr 2024 in Afghanistan militärisch präsent zu bleiben. Ab Ende 2014 sollen die Aufgaben der dort stationierten amerikanischen Soldaten nur noch darin bestehen, Afghanen auszubilden und »Anti-Terror-Einsätze« durchzuführen. Dieser Begriff deckt allerdings ein nahezu unbegrenztes Spektrum von Möglichkeiten ab. Formal sollen zwar künftig alle Operationen »unter afghanischer Führung« stehen. Dieses Etikett wird aber schon heute sogar auf sogenannte Razzien geklebt, an denen nicht ein einziger afghanischer Soldat oder Polizist beteiligt ist.

Das Strategische Abkommen legt nicht fest, wie viele amerikanische Soldaten über 2014 hinaus im Lande bleiben werden. Das zu klären soll späteren Detailverhandlungen vorbehalten sein. Zum jetzigen Zeitpunkt war der US-Regierung nur wichtig, ein locker gestricktes Rahmenwerk unter Dach und Fach zu bringen, das sie am 20. Mai auf dem NATO-Gipfel in Chicago präsentieren kann. Sehr zum Verdruß Karsais fehlen in dem Abkommen auch konkrete Festlegungen, mit wieviel finanzieller Unterstützung sein Regime in den nächsten Jahren rechnen kann.

In seiner Fernsehansprache behauptete Obama zwar, die USA wollten »keine permanenten Stützpunkte in diesem Land errichten«, aber das ist lediglich ein bedeutungsloses Spiel mit Worten: Gebaut sind die Stützpunkte schon längst. Jetzt geht es nur noch darum, in welchem Umfang, zu welchen Konditionen und wie lange die US-Streitkräfte sie auch über 2014 hinaus nutzen können. Auch das soll erst in künftigen Verhandlungen zwischen Washington und Kabul festgelegt werden.

Dem Publikum daheim an den Fernsehern versprach Obama den Anbruch einer neuen Ära des Friedens und der Konzentration auf die wirtschaftlichen und sozialen Probleme im eigenen Land: »Meine amerikanischen Landsleute, wir sind mehr als ein Jahrzehnt lang unter der dunklen Wolke des Krieges gereist. Doch hier, in der frühmorgentlichen Dunkelheit Afghanistans, können wir das Licht eines neuen Tages am Horizont sehen. (...) Jetzt, wo wir aus einem Jahrzehnt der Konflikte in Übersee und der Wirtschaftskrise in der Heimat auftauchen, ist es Zeit, Amerika zu erneuern – ein Amerika, in dem unsere Kinder frei von Furcht leben und ihre Träume verwirklichen können.«

Zur selben Zeit läßt der US-Präsident jedoch die amerikanischen Streitkräfte in der Region am Persischen Golf massiv verstärken und hält sich die »Option« eines Krieges gegen Iran offen, der nach Einschätzung der meisten Experten unabsehbar lange dauern und große Teile der Welt in Mitleidenschaft ziehen würde. Seine Folgen werden von manchen Politikern und Militärs als »katastrophal« prognostiziert. Dazu sagte der Friedensnobelpreisträger in Bagram kein Wort.

Zwei Stunden nach dem Abflug Obamas aus Kabul kehrte der Alltag in die afghanische Hauptstadt zurück: Bei Bombenanschlägen auf eine Wohnanlage ausländischer Sicherheitsfirmen starben acht Menschen, 17 weitere wurden verletzt.

** Aus: junge Welt, Donnerstag, 3. Mai 2012


Wahlkampf in Bagram

Von Olaf Standke ***

Rund 11 000 Kilometer Flug in der Air Force One für 11 Minuten Wahlkampf - auch so kann man Barack Obamas dritte Visite in Afghanistan zusammenfassen. Denn das war es: Wahlkampf pur, verpackt in einer Rede an die Nation zur besten Sendezeit, gehalten auf jenem Luftwaffenstützpunkt Bagram, von dem vor einem Jahr die beiden Tarnkappen-Hubschrauber mit Navy Seals aufstiegen, um im pakistanischen Abbottabad endlich den Staatsfeind Nr. 1 Osama bin Laden zu töten. Mehr Symbolik geht nicht. Das Ende von Al Qaida konnte der USA-Präsident zwar noch nicht verkünden, aber nah dran sei man schon. Obamas Wahlkampf-Team hat den Jahrestag angesichts unzureichender Zustimmungsraten für den Mann im Weißen Haus weidlich ausgeschlachtet: Hier der Amtsinhaber als entschlossener Oberbefehlshaber, da sein faktischer republikanischer Herausforderer Mitt Romney als politisches Weichei, das den Einsatzbefehl wohl nie gegeben hätte - die tradierten Verhältnisse auf dem sicherheitspolitischen Schlachtfeld Washingtons scheinen auf einmal auf den Kopf gestellt.

Und dann versprach Messias Obama den kriegsmüden Wählern auch noch die Erneuerung »Amerikas« samt Licht am Ende des opferreichen afghanischen Tunnels. Der nach massiver Aufstockung in seiner Amtszeit inzwischen angekündigte Truppenabzug ist nun vertraglich mit der Führung in Kabul vereinbart. Die für Friedensverhandlungen umworbenen Taliban reagierten postwendend mit einer tödlichen Botschaft: Mindestens elf Menschen starben bei Terrorakttacken, kaum dass Obama wieder abgehoben war. Dass auch nach 2014 Kampfverbände am Hindukusch stationiert bleiben, wollte er bei seinem Auftritt lieber nicht verschweigen; wie viele - Regierungsvertreter ließen die Zahl 20 000 Soldaten durchsickern - und wie lange - laut Vertrag mindestens zehn Jahre -, das sagte er nicht. Es hätte kaum zum Bild des Friedensbringers gepasst. Der aktuelle Lagebericht des Pentagon jedenfalls verbreitet nur bedingt Optimismus. Und ein nachhaltiges Konzept zur wirtschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Entwicklung Afghanistans fehlt gleich ganz. Präsident Bush hatte 2003 in einer ähnlichen Inszenierung das Ende der Kampfeinsätze in Irak verkündet. Erst sieben Jahre später beendete Obama den Krieg wirklich.

*** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 3. Mai 2012 (Kommentar)


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