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US-Beihilfe zum Mord

Kampagne zu afghanischen Präsidentschaftswahlen? Obama läßt Massaker in Masar-i-Scharif untersuchen. Verbrechen seit acht Jahren bekannt

Das Massaker, von dem im Folgenden die Rede ist, geschah in der ersten Phase des Krieges gegen Afghanistan - vor fast acht Jahren. Lesen Sie hierzu die folgenden Beiträge von damals:



Von Rainer Rupp *

Susannah Sirkin, stellvertretende Direktorin der US-Organisation »Ärzte für Menschenrechte« (PHR) lobte am Wochenende US-Präsident Barack Obama, »weil er sein Nationales Sicherheitsteam angewiesen hat, alle Fakten im Zusammenhang mit dem Massaker von Dascht-i-Leili und dessen anschließende Vertuschung durch die USA zusammenzutragen«. Das von Sirkin angesprochene Verbrechen war im Herbst 2001 während der US-Invasion im Norden Afghanistans bei Masar-i-Scharif an 2000 gefangengenommenen Taliban begangen worden. Augenzeugenberichten zufolge waren die meisten Gefangenen von den US-Verbündeten der sogenannten Nordallianz bei großer Hitze dicht gedrängt in metallene Transportcontainern eingesperrt worden. Ohne Wasser und ohne Luftlöcher erlitten sie einen qualvollen Tod. Andere wurden »gnädiger« behandelt und sofort erschossen.

Der Warlord General Abdul Raschid Dostum, der damals auf der CIA-Lohnliste stand, hatte offensichtlich mit stillschweigendem Einverständnis der anwesenden US-amerikanischen Truppen den Befehl zu dieser Greueltat gegeben. »US-Militär und Geheimdienstmitarbeiter haben zusammen mit General Dostum operiert und auch gemeinsam die Kapitulation der Taliban-Gefangenen angenommen«, betonte Sirkin gegenüber CNN. Die PHR-Vizechefin legte nach: »Die ­Obama-Regierung ist juristisch verpflichtet festzustellen, was US-Beamte und Soldaten von dem Massaker gewußt haben und inwieweit sie darin verwickelt waren.« Kein Wunder, daß laut einem Bericht der New York Times vom Sonntag hohe Beamte der Bush-Administration in den Jahren nach dem Massaker jegliche Versuche, das Verbrechen offiziell untersuchen zu lassen, erfolgreich blockiert haben.

Neben PHR hatten andere Menschrechtsorganisationen wie Human Rights Watch, insbesondere aber auch das Internationale Komitee vom Roten Kreuz auf die vielen Gemetzel aufmerksam gemacht, die im Zuge der US-Invasion in Afghanistan im Herbst 2001 mit Duldung und im Beisein von Amerikanern sowohl an entwaffneten Taliban-Kämpfern als auch an der Zivilbevölkerung begangen wurden. Bereits Mitte November 2001 hatte Human Rights Watch eine Dokumentation der schlimmsten Kriegsverbrechen der afghanischen Warlords vorgelegt, die sich die Vereinigten Staaten im Kampf gegen die Taliban als Verbündete ausgesucht hatten und von denen später im »befreiten« Afghanistan etliche mit US-Unterstützung wichtige Regierungsposten übernahmen (siehe Spalte).

Immer wieder, zuletzt am 15. Dezember 2008 hatten Menschenrechtsorganisationen die USA und die NATO - und damit auch den US-Kampfgefährten Deutschland - dazu aufgefordert, die Massaker in Afghanistan zu untersuchen, oder wenigstens vor Ort die Beweise für die Greueltaten zu sichern. Ohne Erfolg. Mit Ausnahme von junge Welt und einigen anderen kritischen internationalen Medien interessierte sich niemand für diese Verbrechen, die im Namen der US-amerikanischen Sicherheit und Freiheit begangen wurden. Wenn nun nach acht Jahren plötzlich eines dieser Verbrechen, nämlich nur das von General Dostum von Politik und Mainstream-Medien »entdeckt« und skandalisiert wird, dann dürfen andere Absichten vermutet werden als die juristische Aufarbeitung.

Heute ist General Dostum als Verteidigungsminister in Kabul die wichtigste Stütze des afghanischen Präsidenten Hamid Karsai. USA und NATO sind dessen offensichtlich überdrüssig geworden. Für die bevorstehenden Präsidentenwahlen haben die USA und Großbritannien vielversprechende Gegenkandidaten zu Karsai aufgebaut. Mit der Entlarvung des Kriegsverbrechers Dostum ließe sich der Öffentlichkeit erklären, warum man den diskreditierten Karsai fallen läßt.

* Aus: junge Welt, 15. Juli 2009


Washingtons Partner

Warlords in Afghanistan **

Bei der Invasion Afghanistans 2001 haben die USA auf bekannte Kriegsverbrecher als Verbündete im Kampf gegen die Taliban gesetzt. Bereits im Herbst 2001 legte Human Rights Watch einen Bericht mit schrecklichen Einzelheiten zu den Kriegsverbrechen der in der Nordallianz zusammengeschlossenen Warlords. So wurden Tausende wehrlose Gefangene in die Wüste verschleppt, wo man sie erschoß oder elendig verdursten ließ. Andere wurden in Brunnen geworfen und mit Handgranaten ermordet.

Ahmad Schah Massud und Burhanuddin Rabbani von der tadschikischen Jamiat-e-Islami hatten sich im März 1995 im Stadtteil von Kabul, in dem die Farsi sprechenden Hasara lebten, mit Raub, Mord und Vergewaltigungen hervorgetan.

Die Hasara-Kriegsherren Muhammad Karim Khalili uhnd Haji Muhammad Muaqqiq von der Hizb-i-Wahdat empfahlen sich den USA laut Human Rights Watch durch routinemäßige Folter und Massenexekutionen von Gefangenen in der Provinz Bamijan, wo sie Mitte der 90er Jahre besonders aktiv waren. Der usbekische General Abdul Raschid Dostum und sein Verbündeter Abdel Malik Pahlawan von der Junbesch-Miliz hatten sich bereits im Mai 1997 als vielversprechende US-Verbündete ausgezeichnet, als sie in der Nähe von Masar-i-Scharif 3000 gefangene Taliban exekutierten. Der paschtunische Kriegsherr Abdul Rasul Sayyaf von der Ittihad-i-Islami griff zwischen 1992 und 1996 gemeinsam mit Ahmad Schah Massuds Leuten Teile von Kabul an. Tausende Zivilisten starben.

Die Warlords hatten Afghanistan nach dem Rückzug der Sowjetunion und dem US-gesponserten Fall der kommunistischen Regierung dort ins Chaos gestürzt. In immer wieder unterschiedlichen Koalitionen bekriegte jeder jeden. So wurden im Kampf um die Vorherrschaft in Kabul Human Rights Watch zufolge mindestens 25000 Zivilisten getötet. Erst die Taliban machten dem ein Ende. Bis zur Invasion der Amerikaner hatten sie 95 Prozent Afghanistan befriedet. (rwr)

** Aus: junge Welt, 15. Juli 2009


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