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Abzug auf Raten aus Afghanistan

USA kündigten Heimkehr von 33 000 Soldaten binnen eines Jahres an / LINKE fordert Vorreiterrolle Deutschlands

Von Olaf Standke und René Heilig *

Rund ein Drittel der USA-Truppen will Präsident Obama bis Sommer 2012 aus Afghanistan abziehen, bis 2014 soll der Kriegseinsatz beendet sein.

Monatelang hatten Pentagon und Weißes Haus über den militärischen Rückzug aus Afghanistan gefeilscht. Nun wurde Präsident Barack Obama in einer Rede an die Nation, die zunehmend kriegsmüde und der enormen Kosten für den Feldzug von monatlich über zehn Milliarden Dollar überdrüssig ist, konkret. In einer CBS-Umfrage forderten unlängst 64 Prozent der Befragten einen schnellen Abzug. Obama bietet ihnen erst einmal den von 33 000 Soldaten binnen eines Jahres an. Der Abzug entspricht ungefähr der im Dezember 2009 beschlossenen Aufstockung.

Bereits im Juli kehren die ersten Soldaten zurück, bis Jahresende sollen es 10 000 sein. Bis 2014 will Obama die Truppenzahl dann »mit konstantem Tempo« weiter reduzieren, ehe die afghanischen Kräfte die Sicherheitsverantwortung voll übernehmen. Gegenwärtig sind rund 100 000 US-Soldaten am Hindukusch im Kriegseinsatz, knapp zwei Drittel aller ausländischen Truppen dort.

Die Hoffnung auch in den eigenen Reihen der Demokraten auf einen umfangreicheren und schnelleren Abzug hat Obama enttäuscht. Anderseits drängten die Generäle, unterstützt von republikanischen Abgeordneten, darauf, die Stärke der Kampftruppen noch mindestens zwei Jahre auf den jetzigen Stand zu halten. »Wir starten diese Reduzierung von einer Position der Stärke«, behauptete Obama jetzt in seiner Rede. Die Offensive gegen die Taliban zeige Erfolge, Al Qaida sei nach der Tötung von Osama bin Laden unter starkem Druck. Der Präsident sieht gute Chancen, Afghanistan so zu stabilisieren, dass es mittelfristig selbst für seine Sicherheit sorgen kann. Die Entwicklungsorganisation Oxfam dagegen zeichnete in ihrem jüngsten Lagebericht ein düsteres Bild der einheimischen Sicherheitskräfte und der Situation im Lande.

Während der afghanische Präsident Hamid Karsai die Ankündigung des Teilabzugs begrüßt hat, drohten die Taliban mit einer Eskalation der Gewalt. Nach NATO-Einschätzung fürchteten einige Alliierte »negative Folgen für ihre Verantwortungsgebiete«, in denen sie oft auf US-Unterstützung angewiesen sind. Der Kampf werde vor allem im Süden und Osten schwieriger werden, so Danielle Plettka vom Think-Tank American Enterprise Institute. Frankreich hat schon angekündigt, den Abzug seiner rund 4000 Soldaten analog zu Washingtons Vorgehen zu organisieren. Premierminister David Cameron bekräftigte Londons Pläne, die 9000 britischen Soldaten bis 2015 aus Afghanistan abzuziehen.

Auch in der Bundeswehrführung sieht man Obamas Rückzugsabsichten mit Sorge. Die Mitsprache deutscher Militärs, die das drittgrößte ISAF-Kontingent stellen, habe unter US-General David Petraeus deutlich abgenommen. Zudem sind rund 5000 US-Soldaten im Bereich des Kommandos Nord der Bundeswehr eingesetzt. So sei man auf die 50 Hubschrauber der US-Armee angewiesen.

Im Sog von Obamas Rückzugsplan hat Bundesaußenminister Guido Westerwelle die Verringerung der deutschen Truppe noch in diesem Jahr bekräftigt. In Kürze beginne in Masar i Sharif die Übergabe der Sicherheitsverantwortung an einheimische Kräfte, insgesamt in drei Provinzen und vier Städten, in denen ein Viertel der afghanischen Bevölkerung lebt. Nur hat Deutschland in Masar i Sharif gar keine Sicherheitsverantwortung, sondern Schweden. Die Bundeswehr bewacht nur die Nachschubbasis Camp Marmal und den Flugplatz. Beide werden mit Sicherheit nicht übergeben. »Statt auf der Bremse zu stehen und nur zögerlich nachzuziehen, muss die Bundesregierung beim Truppenabzug zügig vorangehen«, forderte gestern Paul Schäfer, verteidigungspolitischer Sprecher der LINKEN im Bundestag.

* Aus: Neues Deutschland, 24. Juni 2011


Obama zieht ab

Von Knut Mellenthin **

Truppenabzug nach Friedensnobelpreisträgers Art: Als Barack Obama im Januar 2009 das Präsidentenamt übernahm, waren 31000 US-Soldaten in Afghanistan stationiert. Hinzu kam eine Brigade, etwa 4000 Soldaten, deren Entsendung schon unter seinem Vorgänger George W. Bush beschlossen worden war. Obama verdreifachte das Kontingent am Hindukusch auf 100000 Mann. Am Mittwoch (22. Juni) kündigte er nun den Beginn eines Rückzugs in mehreren Phasen an. An dessen Ende sollen sich im Herbst nächsten Jahres immer noch 68000 amerikanische Militärangehörige in Afghanistan befinden, also mehr als doppelt so viele wie zu Beginn seiner Amtszeit.

In seiner Fernsehrede, die live aus dem Weißen Haus übertragen wurde, teilte der Präsident mit, daß der Teilabzug im Juli beginnen und bis zum Jahresende 10000 Mann umfassen soll. Weitere 23000 Soldaten sollen im Sommer 2012 folgen. Damit wäre im September kommenden Jahres zahlenmäßig gerade mal die Truppenverstärkung rückgängig gemacht, die der Präsident im Dezember 2009 angeordnet hatte.

Über den weiteren Zeitplan schwieg sich Obama in seiner Rede aus. Er kündigte lediglich an, daß der Abzug »in einem stetigen Tempo« fortgesetzt werde und daß sich die Rolle der US-Streitkräfte in Afghanistan von Kampfeinsätzen zu Unterstützungsaufgaben für das afghanische Militär wandeln werde. »Dieser Übergangsprozeß« solle im Laufe des Jahres 2014 abgeschlossen werden. Daß danach keine US-Truppen mehr am Hindukusch sein würden, sagte Obama jedoch nicht. Tatsächlich strebt das Pentagon eine zeitlich unbegrenzte Militärpräsenz und die langfristige Nutzung afghanischer Stützpunkte an.

Seit Obamas Amtsantritt haben sich die Verluste der US-Besatzungstruppen verfünffacht. Unter Präsident Bush starben in Afghanistan in 87 Monaten 570 amerikanische Soldaten. Das entspricht einem Monatsdurchschnitt von 6,5. In den seit Obamas Amtsantritt vergangenen 29 Monaten kamen bereits 970 US-Soldaten ums Leben, durchschnittlich mehr als 33 pro Monat. Für Obamas Behauptung in seiner Fernsehrede, er beginne den Truppenabzug »aus einer Position der Stärke«, gibt es keine realen Anhaltspunkte. Mit seiner Floskel »Das Licht eines sicheren Friedens wird in der Ferne sichtbar« griff der Präsident, vermutlich unbewußt, eine berüchtigte Durchhalteparole des Vietnamkrieges auf, in der vom »Licht am Ende des Tunnels« die Rede war.

Mit Blick auf die zunehmende Kriegsmüdigkeit der eigenen Bevölkerung versprach Obama, sich künftig auf die Stärkung der einheimischen Wirtschaft zu konzentrieren. »Während des letzten Jahrzehnts haben wir eine Billion Dollar für den Krieg ausgegeben, in einer Zeit wachsender Verschuldung und ökonomischer Schwierigkeiten. Jetzt müssen wir in Amerikas größte Ressource investieren: unser Volk. Wir müssen Innovationen in Gang bringen, die neue Arbeitsplätze und Produktionsstätten schaffen.« Daß er dafür künftig die Militärausgaben senken will, deutete Obama allerdings nicht einmal vage an.

Taliban-Sprecher Tariq Ghazniwal wies Obamas Ankündigung als »nur symbolischen Schritt« zurück der »niemals die kriegsmüde internationale Gemeinschaft oder das amerikanische Volk zufriedenstellen« werde.

** Aus: junge Welt, 24. Juni 2011


Tunnelblick

Von Olaf Standke ***

Mit zehn Jahren Dauer ist der Feldzug am Hindukusch der längste aller Washingtoner Kriege. Auch wenn die zehntausenden zivilen Opfer in der USA-Debatte kaum eine Rolle spielen, die über 1600 gefallenen eigenen Soldaten schon. So wie die aus dem Ruder laufenden Kriegskosten. Während der Schuldenberg der Supermacht Richtung 15 Billionen Dollar wächst und in vielen Städten das Geld für kommunale Dienstleistungen fehlt, verpulvert die Obama-Regierung Monat für Monat über zehn Milliarden Dollar für einen Krieg der Bush-Ära, der längst der ihre ist. Spätestens, seit Barack Obama 2009 auf Druck des Militärs eine massive Aufstockung der Truppen befohlen hat.

So war seine Ankündigung eines schrittweisen Rückzugs jetzt vor allem eine innenpolitische Rede, die Präsidentenwahlen im nächsten Jahr fest im Blick. Denn Obama will im Weißen Haus bleiben. Und dafür muss er lavieren – gegenüber eigenen Anhängern, die auf ein schnelles Ende drängen, Generälen, die möglichst lange in voller Montur angreifen würden, der fragilen afghanischen Regierung, die nach dem Rückzug für Stabilität sorgen soll, den besorgten Verbündeten. Herausgekommen ist eine Abzug light. Obama glaubt Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Dass es wirklich größer wird, kann er nicht garantieren, weil auch nach einer Dekade zu seinem Abzugs- ein nachhaltiger Friedens- und Entwicklungsplan für das geschundene Land fehlt. In Afghanistan herrscht weiter Krieg.

*** Aus: Neues Deutschland, 24. Juni 2011 (Kommentar)


»Afpak«-Desaster

Barack Obama schmiedet Abzugspläne

Von Werner Pirker ****


An wohlklingenden Phrasen fehlte es auch diesmal nicht in Barack Obamas Rede, in der er die Reduzierung des US-amerikanischen Truppenkontingents in Afghanistan ankündigte. »Heute abend finden wir Trost in der Gewißheit, daß die Flut des Krieges verebbt«, sagte er in dem ihm eigenen Predigerstil. In rhetorischer Abgrenzung zur Bush-Regierung meinte er: »Amerika, es ist an der Zeit, sich der Staatenbildung hier zu Hause zu widmen.« »State building« oder auch »Nation building«, das heißt die Schaffung US-höriger Staaten, war die tragende Idee des Neocon-»Projekts für ein neues amerikanisches Jahrhundert«. Dem hält Obama entgegen, daß Amerika erst einmal seine Hausaufgaben erledigen müssen. Als Sozialstaat nämlich sind die USA ein äußerst unterentwickeltes Gebilde.

Die Vereinigten Staaten können sich die Kriege schlicht nicht mehr leisten, gab Mister President zu bedenken: »Während des letzten Jahrzehnts haben wir eine Billion Dollar für den Krieg ausgegeben, in einer Zeit wachsender Verschuldung und ökonomischer Schwierigkeiten.« Damit reagiert Obama auf die Stimmung in der Bevölkerung, die von einer wachsenden Kriegsmüdigkeit geprägt ist. Dies versuchen neuerdings auch die Republikaner, ansonsten Bannerträger eines kriegerischen Chauvinismus, gegen die Obama-Administration ins Feld zu führen.

Doch auch die linke Anhängerschaft des Präsidenten läßt sich von dessen klugen Reden kaum noch beeindrucken. Denn daß die Flut des Krieges verebbt, ist keineswegs eine ausgemachte Sache. Bis zum Jahresende sollen 10000 US-Soldaten heimkommen, weitere 23000 bis zum Sommer 2012 folgen. Blieben immer noch 68000 Soldaten, das sind mehr als zu Obamas Amtsantritt. In Libyen hat sich das von den USA geführte Kriegsbündnis in ein weiteres militärisches Abenteuer eingelassen. Denn auch wenn die in der Bush-Ära geprägten Begriffe nicht mehr verwendet werden: In der Sache ist nach wie vor State building angesagt, wo immer es der kriegerischen Wertegemeinschaft beliebt. Der erste nichtweiße Präsident der USA ist angetreten, die weiße Vorherrschaft über die Welt zu wahren, nicht sie zu beenden.

Obamas Vorgänger Bush hat die Hindukusch-Expedition nicht gestartet, um Osama bin Laden zu liquidieren, sondern um in einer strategisch sensiblen Region stärker Fuß zu fassen und mittels Afghanistan die Kontrolle über Pakistan zu verstärken. Zehn Jahre nach dem Sturz des Taliban-Regimes stellt sich die Situation für die Interventionsmächte heute ungüstiger als zu Kriegsbeginn dar. Die Taliban, als sektiererische Ungeheuer davongejagt, sind als nationale Befreiungskraft zurückgekehrt. Und die Enfremdung Pakistans vom Westen ist so groß wie nie zuvor. Das Unternehmen »Afpak« erwies sich als grandioser Fehlschlag. Barack Obama versucht zu retten, was zu retten ist. Mit seinen Abzugsplänen wirbt er um die Wählergunst. Ob er sich aber gegen die Kriegslobby durchzusetzen vermag, ist zu bezweifeln.

**** Aus: junge Welt, 24. Juni 2011

Lesen Sie die ganze Rede von Obama:

"Bis zum kommenden Sommer werden wir insgesamt 33.000 Soldaten nach Hause bringen"
US-Präsident Obama erläutert in einer Rede an die Nation das weitere Vorgehen in Afghanistan (Die ganze Rede im Wortlaut)




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