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Die USA unter Präsident George W. Bush

von Hans Arnold (Botschafter a. D.)*

Noch ist der neue amerikanische Präsident Bush in seiner Anfangsphase. Doch schon jetzt ist zu befürchten, dass der Tag seines Amtsantritts einmal von all denjenigen als Schwarzer Tag gesehen werden wird, die in Staaten und Gesellschaften keine Herrschaft der Starken über die Schwachen, sondern Ausgleich und Solidarität wollen, und in der Weltpolitik keine Herrschaft durch die Macht von Waffen und Kartellen, sondern eine kooperative gesicherte militärische und gesellschaftliche Friedensordnung.

In aller amerikanischen Politik lassen sich bekanntlich zwei unterschiedliche Grundvorstellungen ausmachen. Die eine zielt auf die Verbesserung der Lebensverhältnisse für alle, kurz: auf eine insgesamt bessere Welt, und dabei vor allem auf die Verwirklichung von Menschen-, Freiheits- und sozialen Rechten. Ihre Wurzeln reichen weit zurück bis zu den ersten Einwanderern, den Pilgervätern, die 1620 während ihrer Fahrt mit der "Mayflower" von Europa in die Neue Welt von einer Zukunft in einer "leuchtenden Stadt auf dem Hügel", in einem "neuen Jerusalem", geträumt hatten.

Heute manifestiert sich diese Grundvorstellung, die auch die Unabhängigkeitserklärung und die Verfassung der USA entscheidend geprägt hat, vor allem in politischer und gesellschaftlicher Humanität, Toleranz und Liberalität. Sie hatte bei der Gründung der Organisation der Vereinten Nationen (1945) und bei der Schaffung der Universellen Erklärung über Menschenrechte (1948), die beide auf amerikanische Initiative zustande gekommen waren, Pate gestanden. Sie war die treibende Kraft der bürgerlichen Bewegungen, die nach dem Tode von Martin Luther King (1968) und im Vorfeld der Beendigung des Vietnam-Krieges (1975) entstanden waren.

Die andere Grundvorstellung zielt darauf, unter den bestehenden Umständen, einschließlich der als unausweichlich verstandenen Gegensätze zwischen Arm und reich, Stark und Schwach und Gebildet und Ungebildet, die Verwirklichung individueller Möglichkeiten zu verbessern. Sie ist geprägt von betonter Moralisierung, und zu ihr gehört eine in Leben und Politik der USA immer wieder zu beobachtende Rechtfertigung von Robustheit, Ungeschlachtheit und auch Gewalt. Ihre Wurzeln reichen zurück bis in die frühen Zeiten der USA, bis zu der Ausrottung der Indianer und der Einführung der Sklaverei.

Heute manifestieren sich diese Grundvorstellungen in vielfältigster Weise und dabei vor allem in der Vormacht der Reichen und in nationalem und religiösem Fundamentalismus und Konservativismus. Bekannte Beispiele zeigen sich in der Sozial- und Steuergesetzgebung, im Handwaffen-, Polizei- und Strafrecht, aber auch, wie bei der Wahl von Bush wiederum erkennbar wurde, im Wahlrecht. So haben z. B. in dem in der Präsidentschaftswahl bekanntlich heiß umstrittenen Florida 31 Prozent der männlich afro-amerikanischen Bürger das Wahlrecht (aus vorwiegend lächerlichen Gründen) auf Lebenszeit verloren.

In der Außenpolitik der USA finden sich Beispiele für die Wirksamkeit dieser Grundvorstellung in völkerrechtswidrigen Bombardierungen, wie etwa im Kosovo oder vor Jahren von Tripolis und bis heute von Bagdad, in der völkerrechtswidrigen Verwendung von Anti-Personen-Minen und in der rücksichtslosen Zerstörung von Koka-Plantagen in Lateinamerika, aber auch in der Weigerung der USA, sich am Internationalen Strafgerichtshof zu beteiligen.

Den beiden Vorstellungen gemeinsam ist ihre Grundierung durch den American Dream und einen ungebremsten Glauben an Fortschritt und Gerechtigkeit für alle durch die Verwirklichung des American Way of Life. Beide Vorstellungen sind in den beiden großen politischen Lagern der USA lebendig, doch ist die hier als zweite von ihnen genannte im republikanischen Lager erheblich stärker ausgeprägt als im demokratischen.

Präsident Bush ist nach seinem Herkommen, seinem Vorleben, seinem Wahlkampf und nach seinem bisherigen Handeln als Präsident ein ausgeprägter Repräsentant dieser Richtung und der sie tragenden Kräfte. Zu diesen gehört in erster Linie die in den Medien nachhaltig präsente und gegenüber dem Kongreß einflußreich agierende religiöse Rechte, aber auch die Faustrecht-freudige (von Anhängern der rechtsradikalen terroristischen Milizbewegung durchsetzte) National Rifle Association. Und schließlich gehören zu ihnen gleichermaßen Verlierer und Gewinner des wirtschaftlichen Fortschritts: die Verlierer, weil sie frustriert sind, und die Gewinner, weil sie sich ihren frisch gewonnenen Besitz nicht schmälern lassen wollen.

Auf dieser Basis macht sich Bush nun mit Hilfe der zum Teil erzkonservativen Mitarbeiter seines Vaters daran, die extrem konservative Politik von Reagan, dem Amtsvorgänger seines Vaters (der sein Großvater sein könnte), wieder aufleben zu lassen. Zu seinen ersten Entscheidungen nach Amtsübernahme gehörten die Streichung öffentlicher Gelder für Familienplanung (einschließlich der verfassungsrechtlich gesicherten Abtreibung), die Verlagerung von staatlicher sozialer Verantwortung auf religiöse Organisationen, die Freigabe von Naturschutzgebieten für Ölbohrungen und die (hintersinnig als Routineangelegenheit deklarierte) erneute Bombardierung des Irak. Kurz: Bush steht nicht für das Amerika der humanen Modernität und Weltoffenheit, sondern nach innen für das Amerika der humanen Kälte und der sozialen Härte und nach außen für das Amerika der insularen Selbstbezogenheit und der brutalen Machtausübung.

Dies zeigten bereits seine beiden großen Wahlversprechen. Das erste war eine Steuersenkung und damit Mehrung von Reichtum oben und von Armut unten. Dafür stehen die Chancen angesichts der Konjunkturlage in den USA und der allgemeinen Ratlosigkeit ihr gegenüber nicht schlecht. Das zweite Wahlversprechen war das Projekt eines nationalen Raketenabwehrsystems. Es ist gleichermaßen dem Denken des vergangenen Kalten Krieges und einer Politik des Isolationismus, gepaart mit einseitiger militärischer Machtausübung verpflichtet. Es ist zwar noch mit vielen technischen und finanziellen Fragezeichen versehen, wird aber von Bush offenkundig energisch verfolgt.

Gegenwärtig demonstriert Bush Entschlossenheit. Doch sind schon heute einige Schwachstellen seiner Regierung erkennbar.

Da ist einmal Bushs notorische geistige Schlichtheit und menschliche Oberflächlichkeit. Bekannt ist z.B., dass er keinem Problem mehr als eine Viertelstunde widmen mag (einschließlich der Entscheidungen über die Vollstreckung von Todesurteilen, bei denen er als Gouverneur von Texas im letzten Jahr bei 40 Entscheidungen mit 40 Genehmigungen von Vollstreckungen einsamer Spitzenreiter unter den amerikanischen Gouverneuren war).

Generell scheint Bush "keinen Gefallen am Nachdenken zu haben, der Welt der Ideen begegnet er mit Ungeduld, einige der wichtigen politischen Debatten des Landes interessieren ihn einfach nicht" (New York Times). Bei dem Versuch, seine verschwommene Zielvorstellung von einem "mitfühlenden Konservativismus" ("compassionate conservativism"), die er im Wahlkampf propagiert hatte, mit kommunitaristischem Gedankengut zu unterfüttern, scheint er sich ziemlich verheddert zu haben.

Schon jetzt scheinen die in Washington üblichen Kontroversen und Intrigen zwischen den engsten Mitarbeitern der Präsidenten auch für die Regierung Bush bereits vorprogrammiert zu sein (etwa durch die Intimfeindschaft zwischen Verteidigungsminister Rumsfeld und der Sicherheitsberaterin Rice). Bei einem Präsidenten von der Art Bushs dürften sie besonderes Gewicht gewinnen. Vor allem aber dürfte die Machtausübung Bushs durch folgende drei Tatbestände eingeschränkt sein. Erstens ist Bush der seit dem Zweiten Weltkriegs (also seit dem Zeitpunkt, von dem an die USA zur Supermacht wurden) der am schwächsten legitimierte Präsident. Die überwältigende Mehrheit der Wähler hatte ihn abgelehnt.

Bush ist nicht zum Präsidenten gewählt worden. Es gelang ihm, nach dem Debakel der Stimmenauszählung in Florida mit trickreichen Manövern vom Obersten Bundesgericht durch eine rechtlich skandalöse Entscheidung in sein Amt eingesetzt zu werden. Es fehlt ihm also bisher die für die besonderen Möglichkeiten des amerikanischen Präsidenten zur Machtausübung auf Dauer unerläßliche breite Zustimmung der amerikanischen Bürger.

Zweitens sieht sich Bush einem gespaltenen Kongreß gegenüber. Im Senat verfügen die Republikaner (einschließlich der Stimme von Vizepräsident Cheney in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Senats) über 51 von 101 Stimmen. Im Repräsentantenhaus haben sie eine einfache Mehrheit von nur wenigen Stimmen.

Diese parlamentarische Konstellation läßt keinen Spielraum für große Würfe, dies umso mehr, als für wichtige Entscheidungen in beiden Häusern mehr als die einfache Mehrheit erforderlich ist. Bush hat zwar angekündigt, er wolle Republikaner und Demokraten kooperativ zusammenführen, und hat seit seinem Amtsantritt auch keine Lächerlichkeiten gescheut, um dies zu demonstrieren. Doch stehen beide Parteien bereits in den Startlöchern für die Zwischenwahlen im kommenden Jahr, in denen sie beide die derzeitige Pattsituation zu ihrem Vorteil beenden wollen.

Drittens und vor allem aber hat die Art und Weise des Zustandekommens der Präsidentschaft von Bush das Land gespalten. Durch die ab 1968 entstandenen o. a. Bürgerrechtsbewegungen hatten sich die in den USA (nicht zuletzt durch die zweite der o. a. Grundvorstellungen) traditionell verfestigten ethnischen, gesellschaftlichen und sozialen Trennlinien aufgelockert. Eine Entwicklung, die sich in den acht Präsidentschaftsjahren von Clinton weiter belebt hatte. Nun aber ist zu befüchten, dass von Bush und den Republikanern, die ideologisch straffer und effizienter orientiert sind und rubuster handeln als die Demokraten, diese Trennungslinien wieder verschärft werden. Die von Bush ostentativ multiethnisch zusammengestellte Regierung und seine emsigen Avancen gegenüber Minderheiten seit seinem Amtsantritt dürften hieran kaum was ändern.

Hier liegt freilich auch eine Chance. Denn eine solche Politik könnte in den USA das öffentliche Bewußtsein für die Notwendigkeit von Bürgerrechten und einer Zivilgesellschaft und vielleicht auch von einer mehr kooperativen Außenpolitik erneut beleben. Damit und angesichts der o. a. Schwachstellen der Regierung Bush, könnte eine Gegenentwicklung zum besseren sowohl in den USA (wie vielleicht bereits die seit Jahrzehnten erstmals wieder entstandene Demontrationen bei der Amtseinführung von Bush gezeigt haben) als auch andernorts (wie u. a. Seattle und Davos gezeigt haben) neuen Auftrieb erhalten.

* Hans Arnold war früher Diplomat und Botschafter der Bundesrepublik in verschiedenen Ländern, lehrt heute als Lehrbeauftragter an der Hochschule für Politik München

Aus: Friedenspolitische Korrespondenz, 1/2001

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