Warenartikel oder Impulsgeber für mehr Freiheit?
Experten schätzen Bedeutung des Woodstock-Festivals vor 40 Jahren unterschiedlich ein
Von Alexander Lang *
Speyer/Frankfurt a. M. (epd). Was war Woodstock? Bei dieser Frage
scheiden sich bei Musikkennern, Jugendforschern und Vertretern
gesellschaftlicher Gruppen die Geister. Für die einen kennzeichnet das
legendäre Musikfestival, das vor 40 Jahren, vom 15. bis 18. August 1969
in dem Ort Woodstock im US-Bundesstaat New York stattfand, den Höhepunkt
und Niedergang der Hippiekultur. Die anderen sehen in Woodstock nur
einen von der Musikindustrie erschaffenen Mythos, der kein Impulsgeber
für eine freiheitlichere Gesellschaft gewesen sei.
Als eine Keimzelle der Friedens-, Umwelt- und Anti-Atomkraft-Bewegung
der 70er und 80er Jahre bezeichnet Musikprofessor Udo Dahmen von der
Popakademie Mannheim das Festival, zu dem sich damals rund 500.000
Besucher aufmachten. "Woodstock gab ein weltweites Signal: Wir haben die
Kraft, etwas zu verändern." Die Botschaft von Liebe, Frieden und
Solidarität habe nicht nur die Popkultur stark beeinflusst, sondern habe
auch die Entstehung von gesellschaftlichen Protestbewegungen gefördert.
Woodstock sei mit einem einzigartigen gesellschaftlichen und politischen
Aufbruch in den USA verbunden gewesen, sagt Peter Strutynski, Sprecher
des Bundesausschusses Friedensratschlag in Kassel. In Deutschland habe
der "Geist von Woodstock" auf die Ostermarschbewegung, den Protest gegen
den Vietnamkrieg sowie die Großdemonstrationen gegen Atomwaffen
ausgestrahlt.
Auch der Sprecher des Bunds für Umwelt und Naturschutz Deutschland
(BUND) in Berlin, Rüdiger Rosenthal, würdigt den Beitrag von Woodstock
für die Friedens- und Ökologiebewegung. Vertreter von
Nichtregierungsorganisationen hätten in der Folgezeit versucht, die
Träume der "Blumenkinder" umzusetzen. Auch aktuelle Protest- und
Aktionsformen knüpften an frühere Beispiele an, etwa wenn der BUND eine
Konzertreihe für saubere Flüsse organisiere.
Bis in die evangelischen Kirchentage hinein habe Woodstock als Kultur-
und Politik-Event gewirkt, urteilt Pfarrerin Petra Bahr, die
Kulturbeauftragte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland in
Hannover. Mit Händen sei zu greifen, dass bei den alle zwei Jahre
stattfindenden Protestantentreffen "immer noch ein Hauch von Woodstock,
nur ohne Drogen und das aufgesetzt Orgienhafte" herrsche.
Kritisch beurteilt hingegen der Jugendforscher Klaus Farin vom Berliner
Archiv der Jugendkulturen den Woodstock-Mythos: "Das Ereignis hat für
sich keine eigene Bedeutung und wird bis heute von der Musikindustrie
vermarktet." Die mediale Darstellung von Woodstock habe den westlichen
Mehrheitsgesellschaften ein eher negatives Bild der Hippiekultur
geliefert. Die meisten heutigen Jugendlichen könnten mit dem
Kultfestival ihrer Eltern überhaupt nichts anfangen.
Auch der Redakteur der "tageszeitung" in Berlin und Autor Jan Feddersen
will den kulturgeschichtlichen Beitrag von Woodstock nicht zu hoch
gehängt sehen. Erst der ein Jahr später erschienene dokumentarische
Woodstock-Film habe den Mythos einer heilen Hippiewelt erzeugt, sagt
Feddersen, der das Ereignis in einem Buch kritisch würdigte. Was heute
von Woodstock bleibe, sei vor allem "eine Vergöttlichung von mentalen
Drogen und die Selbstinszenierung der weißen Mittelschichtsmusik".
Für völlig überbewertet hält der Heidelberger Gitarrist Uli Rohde das
bekannteste Festival der Popgeschichte. "Es gibt keinen Hippie, der mit
seinem Hippietum auch nur ein Problem auf dieser Welt lösen könnte",
sagt der knapp 60-Jährige, der die späten 60er Jahre als aktiver Musiker
erlebte. Nicht die Woodstock-Generation sei aktuell, "sondern fähige
Leute, die keine Träumer sind und wirklich an so etwas wie Weltfrieden
interessiert sind".
epd-Bericht, 14. August 2009
"Ein Schock für ganz US-Amerika"
Woodstock war ein Schock für ganz US-Amerika, und zwar zu einer Zeit,
als wir einen Krieg gegen Vietnam führten und viele junge Männer in
permanenter Angst lebten, eingezogen zu werden. Im Jahr zuvor wurden
Robert Kennedy und Martin Luther King ermordet, die Stimmung war sehr
unheilvoll, es gab bereits Proteste und gewalttätige Ausschreitungen.
Und plötzlich waren da Hunderttausende von jungen Menschen versammelt,
deren Lebensgefühl und Sichtweise auf das, was in den USA geschah, bis
anhin von den Medien wie von der älteren Generation diskreditiert, ins
Lächerliche gezogen und isoliert wurde. Wenn man in Woodstock auf der
Bühne stand und über dieses schier endlose Feld junger Gleichgesinnter
blickte, hatte man das Gefühl, die Welt vor sich versammelt zu haben.
Unsere Welt, nicht die Welt unserer Eltern.
Joel Rosenman, einer der Organisatoren von Woodestock 1969, in einem
Interview der Wochenzeitung WOZ, 13. August 2009
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