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Antikriegscamp verboten

Altmarkkreis Salzwedel erläßt "Allgemeinverfügung". Kommunalbehörden kündigen Straßensperren an und drohen Teilnehmern mit hohen Strafen

Von Susan Bonath *

Erst am Freitag nachmittag ließ das zuständige Kreisordnungsamt Salzwedel die Katze aus dem Sack: Die vom 10. bis 17. September geplanten Proteste gegen das Gefechtsübungszentrum (GÜZ) in der Colbitz-Letzlinger Heide sind komplett verboten. Mit der von Landrat Michael Ziche (CDU) unterzeichneten »Allgemeinverfügung« untersagt die Behörde in diesem Zeitraum »alle Versammlungen unter freiem Himmel« im Umkreis des 232 Quadratkilometer großen Truppenübungsplatzes. Damit verbietet sie den Organisatoren, die dem Europäischen Antimilitaristischen Netzwerk »War starts here« angehören, das ab Mittwoch geplante fünftägige Antikriegscamp, zu dem sie bis zu 500 internationale Teilnehmer erwarten, den Aktionstag am Samstag und die einwöchige Dauermahnwache, die heute im GÜZ-Anrainerort Letzlingen beginnen soll.

Laut Verfügung erstrecken sich die Grenzen des Verbots westlich des Militärgeländes vom Sperrgebiet bis zur Bundesstraße 71, im Osten bis zur Bundesstraße 189, im Süden bis zur Kreisstraße 1162 zwischen Haldensleben und Wolmirstedt, nördlich bis zur ICE-Trasse Hannover–Berlin. Betroffen sind somit die Landkreise Börde, Salzwedel und Stendal. Es handele sich um »Maßnahmen zur Gefahrenabwehr«, heißt es. Eine weitere Begründung enthält die »Öffentliche Bekanntmachung« nicht; die Verfügung sei im Ordnungsamt Salzwedel ab Montag zu den Öffnungszeiten »einsehbar«, hieß es.

Außerdem gab es eine »gemeinsame Mitteilung« von Landkreisen, Polizei und Bundeswehr, die das Land Sachsen-Anhalt und die GÜZ-Partnerstadt Haldensleben auf ihren Internetseiten veröffentlichten. Darin kündigen sie an, ab Montag früh die Ortsverbindungsstraßen zwischen Colbitz (B189) und Hütten (B71) für den Durchgangsverkehr voll zu sperren. Polizei und Bundeswehr würden zudem bis zum 17. September im GÜZ-Umfeld verstärkt Fahrzeug- und Personenkontrollen durchführen, »um Störungen und Straftaten zu verhindern«. Anschließend drohen die Behörden mit hohen Bußgeldern: Bloßes Betreten des GÜZ-Areals ahnde man demnach mit bis zu 500 Euro, auf »ungenehmigtes Zelten« stünden sogar bis zue 5000 Euro.

Vergangene Woche hatte die Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Nord zunächst bekanntgegeben, sie werde sich gemeinsam mit Bundeswehr und Bundespolizei auf einen Großeinsatz für den Aktionstag am 15. September vorbereiten. Dazu werde allein das Land Sachsen-Anhalt rund zehn Hundertschaften Beamte abordnen. Begründet hatte die Behörde dies gegenüber jW damit, der Aufruf der Kriegsgegner, den Militärbetrieb an diesem Tag zu »markieren, blockieren und sabotieren«, laufe auf Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung hinaus; man erwarte Straftaten. Medienpropaganda und Zusammenarbeit zwischen Kommunalbehörden, Militär und Polizei funktionieren auch sonst bestens in der sachsen-anhaltischen Militärhochburg: Bereits am Weltfriedenstag titelte die regionale Tageszeitung Volksstimme: »Militante Bundeswehrgegner wollen Truppenübungsplatz besetzen«, obwohl sich die Antimilitaristen von jeglicher Gewalt distanzierten und ankündigten, ausschließlich »friedliche Mittel des zivilen Ungehorsams anzuwenden«. Ab Mittwoch soll zudem »ein gemeinsames Pressebüro in Letzlingen die Medien über die aktuelle Lage informieren«.

Die Organisatoren wollen sich nicht einschüchtern lassen. Am Samstag teilten sie mit, das Camp werde auf einer »Notfallfläche« trotzdem wie geplant durchgeführt. Dort wolle man vor allem über die aktuelle Kriegs- und Militarisierungspolitik sowie über Gegenstrategien diskutieren. Die Nähe zum GÜZ, dem modernsten Truppenübungsplatz Europas, habe man bewußt gewählt, weil dort Soldaten für Kriegseinsätze ausgebildet werden. Noch in diesem Jahr wird auf dem Terrain mit dem Bau einer 100 Millionen Euro teuren Kriegsübungsstadt begonnen, in der der Häuserkampf in urbanen Zentren auch für den Einsatz im Inland geprobt werden soll. Stattfinden soll auch die Dauermahnwache auf dem Letzlinger Marktplatz. Diese richte sich gegen »behördliche Absichten, die Meinungs- und Versammlungsfreiheit zu unterlaufen«. »Wie sehr sich städtische Führungen und Teile der Bevölkerung von Militär und GÜZ-Betreiber Rheinmetall bevormunden lassen, hat uns bestürzt«, kommentierte Karoline Puls vom Organisationsteam die derzeitige Situation. Friedensaktivisten vermuten, daß hier »ein Exempel statuiert« werden soll.

* Aus: junge Welt, Montag, 10. September 2012


Kriegsgegner unerwünscht

Antimilitaristischer Protest verboten / Aktivisten finden Platz zum Campen

Von Ines Wallrodt **


Während die Polizei die Proteste rund um das Anti-Kriegs-Camp »War starts here« verboten hat, mobilisieren Aktivisten zur Mahnwache.

Kriegsgegner mobilisieren seit Monaten zu einer Aktionswoche rund um den Truppenübungsplatz der Bundeswehr in Sachsen-Anhalt. Nun hat die Polizei jeglichen Protest in der Nähe des Truppenübungsplatzes verboten. Abblasen wollen die Aktivisten die Proteste nicht und so werden Unterstützer ab heute zu einer Dauermahnwache auf dem Marktplatz nach Letzlingen mobilisiert. Erst kurz vor Beginn der Aktionen hatten sie nach eigenen Angaben einen Ort zum Campen gefunden.

Das Demonstrationsverbot gilt für eine Woche und umfasst einen großen Bereich mit mehreren Landkreisen. Im Norden wird das Gebiet von der ICE-Trasse von Berlin nach Hannover begrenzt, im Westen von der B71, im Osten von der B189 und im Süden von der Kreisstraße zwischen Haldensleben und Wolmirstedt. Die Polizei begründete laut Aktivisten das Verbot damit, dass die Behörden von der Durchführung von Straftaten ausgehen würden.

Auf dem Gefechtsübungszentrum (GÜZ) in der Altmark werden Soldaten auf Auslandseinsätze vorbereitet. Um die militärische Nutzung der Heide gibt es seit der Wende politische Auseinandersetzungen. Ein Kompromiss aus dem Jahr 1997 sah vor, dass der südliche Teil zivil genutzt werden sollte. Diese Vereinbarung wurde jedoch von der schwarz-gelben Landesregierung 2004 aufgekündigt, das gesamte Gebiet wird seither für Kriegsübungen genutzt. Die Bundeswehr will das Gelände weiter ausbauen, um dort künftig gezielt den Häuserkampf in Städten trainieren zu können. Im nächsten Frühjahr soll der Bau der neuen Übungsstadt »Schnöggersburg« beginnen. Er soll bis zu 100 Millionen Euro kosten.

Der Protest vor Ort will darauf aufmerksam machen, dass Krieg nicht weit weg stattfindet, sondern dass Töten und Zerstören mitten in Deutschland geübt werden. Für Sonnabend hatten die Kriegsgegner Aktionen des zivilen Ungehorsams angekündigt. Sie wollten den Truppenübungsplatz für einen Tag »entern, lahmlegen, umgestalten«, heißt es im Aufruf zum Aktionstag. Ob die Aktivisten trotz des Verbots an ihren Plänen festhalten, war bis Redaktionsschluss nicht bekannt.

In einer Mitteilung hatte die Polizei bereits vergangene Woche darauf hingewiesen, dass allein schon das unbefugte Betreten des Truppenübungsplatzes eine Ordnungswidrigkeit sei, die mit bis zu 500 Euro Bußgeld geahndet werden könne. Unerlaubtes Zelten könne sogar bis zu 5000 Euro kosten.

Die Stadt Gardelegen, zu der Letzlingen gehört, hatte im Vorfeld nur einen Ort zum Campen in einem ehemaligen Industriegebiet angeboten. Die Organisatoren lehnten jedoch ab, weil er weit vom GÜZ entfernt und mit zwei ICETrassen getrennt liegt. »Wir wollen in direkter Nähe des Kriegsgeländes protestieren«, sagte eine Aktivistin. Lokale Medien machen seit Wochen Stimmung gegen die Antimilitaristen. Polizei, Bundeswehr und Bundespolizei rüsten sich laut Medienberichten mit etwa 1000 Beamten für den kritischen Besuch. Diese Zahl wurde von der Polizei nicht bestätigt.

** Aus: neues deutschland, Montag, 10. September 2012


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