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"Verknüpfte Schnürsenkel sind Widerstand"

Blockierer der Rhein-Main-Airbase wurden verurteilt - Ein Gespräch mit Martin Singe*

Das folgende Interview (geführt von Thomas Klein) haben wir der Tageszeitung "junge Welt" entnommen. Es geht darin um die Gerichtsverfahren, die gegen zahlreiche Antikriegs-Demonstranten angestrengt wurden, die sich vor und während des Irakkriegs an friedlichen Blockadeaktionen an der Rhein-Main-Airbase beteiligt hatten.


F: Diese Woche hat vor dem Frankfurter Amtsgericht ein Prozeß gegen Friedensaktivisten stattgefunden, die im Frühjahr 2003 aus Protest gegen den Irak-Krieg an Sitzblockaden vor der US-Airbase Frankfurt/M. teilgenommen haben. Erstmals sind dabei Personen wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt verurteilt worden? Was wurde ihnen zur Last gelegt?

Die zwei am Mittwoch verurteilten Personen hatten in einem Kreis von sieben Menschen zusammengesessen, sich zum Schutz vor Polizeigewalt untergehakt und die Schnürsenkel zusammengebunden. Später, bei der Räumung der Blockade durch Polizeibeamte, haben sie sich friedlich verhalten und wegtragen lassen.

F: Aber die beiden sind doch wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt verurteilt worden ...

Ja, die Staatsanwaltschaft hat diesen Vorwurf erhoben und das Gericht hat sich dieser Ansicht angeschlossen.

F: Heißt das: Die Staatsanwaltschaft und der Richter sind der Meinung, untergehakt in einem Kreis zu sitzen und sich die Schnürsenkel zusammenzubinden sei Ausübung von Gewalt?

Leider ja. Voraussetzung für eine Verurteilung ist Widerstand gegen die Staatsgewalt, oder anders gesagt: Der beschriebene Vorgang – sich unterhaken, Schnürsenkel miteinander verknüpfen – wurde so von Richter Henrici interpretiert. Eine sehr kuriose Argumentation. Aber nach Henricis Ansicht war diese über das rein passive Sitzen hinausgehende Handlung eine Behinderung des polizeilichen Einschreitens, eine Widerstandshandlung, und die beiden Angeklagten wurden zu einer Verwarnung mit Strafvorbehalt auf zwei Jahre Bewährung zu 15 Tagessätzen á zehn Euro verurteilt. Sie haben übrigens gegen das Urteil Widerspruch eingelegt.

F: Die Kampagne »resist – sich dem Irak-Krieg widersetzen«, die zu diesen Blockaden aufgerufen hatte, betonte vor den Prozessen, die juristische Auseinandersetzung werde genutzt, um zu thematisieren, daß es sich um einen grundgesetz- und völkerrechtswidrigen Krieg gehandelt habe. Geschieht das nun?

Ja. In den bisherigen Prozessen betonten die Angeklagten stets, daß der Krieg grundgesetz- und völkerrechtswidrig gewesen sei, und es seitens der Bundesregierung durch Gewährung von Überflugrechten und Bereitstellung hiesiger Infrastruktur dennoch Unterstützung dafür gegeben habe. Richter und Staatsanwälte werden immer wieder darauf hingewiesen, daß renommierte Völkerrechtler den Bruch internationalen Rechts klar einräumen.

F: Welches Gewicht messen die Richter diesem Aspekt bei?

Das findet bei den Richtern kein Gehör bzw. fällt unter den Tisch. Die Richter wenden das Strafrecht an, ohne die Rechtssystematik zu beachten. Ansonsten dürften sie die Friedensaktivisten nicht verurteilen.

F: Was heißt das konkret?

An sich sind Völkerrecht und grundgesetzlich verankertes Recht den Strafgesetzen vorgeordnet. Alle Bürger sind aufgefordert, sich an das Völkerrecht zu halten und laut Grundgesetz, Artikel 25, ergeben sich aus dem Völkerrecht unmittelbare Rechte und Pflichten. Daran haben sich alle gehalten, die mit ihrer Teilnahme an Blockaden gegen diesen völkerrechtswidrigen Krieg aktiv geworden sind. Aber ihr Engagement wird nun noch bestraft, während zugleich alle Versuche gescheitert sind, die Bundesregierung wegen Unterstützung des Krieges zu belangen. Der Generalbundesanwalt, der unter Regierungsweisung steht, hat alle entsprechenden Versuche abgeblockt - sicher keine Überraschung. Die Zwischenbilanz nach zahlreichen Blockade-Prozeßen lautet: In den Prozessen bleibt der Gesamtkontext im Grunde völlig außen vor – das ist das Erschütternde an den Verfahren und an dieser Justiz.

* Martin Singe arbeitet im Kölner Sekretariat vom "Komitee für Grundrechte und Demokratie" und beobachtet die Prozesse gegen Teilnehmer von Sitzblockaden, die aus Protest gegen den Irak-Krieg im vergangenen Jahr u.a. vor der Rhein-Main-Airbase stattfanden.

Aus: junge Welt, 26.November 2004


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