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Wo ist der Ausgang?

Von Jürgen Reents *

Sie hatten die Erde nur von ihren Kindern geborgt. Gewaltfreiheit bedeutete ihnen Sicherung des Friedens und des Lebens mit politischen statt mit militärischen Mitteln. Sie wollten die Auflösung der Militärblöcke, eine waffenfreie Zone in Ost- und Westeuropa und keine fremden Truppen auf fremden Territorien. Politiker, Wissenschaftler und Militärs, die zu Massenvernichtung anwendbare Waffensysteme planen, errichten, betreiben oder unterstützen, sollten weltweit angeprangert werden. Wer den Einsatz von Kriegswaffen anordnet, sollte sich vor einem internationalen Gerichtshof zu verantworten haben.

Inzwischen gibt es ihn, den Internationalen Gerichtshof. Nach dem Wortlaut des Gründungsprogramms der Grünen, das 1980 verabschiedet wurde und aus dem obige Aussagen stammen, hätte eine ganze Führungsgeneration dieser Partei vor ihm zur Rechenschaft gezogen werden müssen.

Zwei Angriffskriege haben die Grünen mit beschlossen und mit geführt, gegen Jugoslawien 1999, gegen Afghanistan 2001. Ihr damaliger Außenminister Joschka Fischer erfand die krudeste Legende für den Kriegseintritt: Deutsche Soldaten müssten gegen Serbien marschieren, um ein neues Auschwitz zu verhindern. Die Militärpolitikerin Angelika Beer steuerte den einfältigsten aller Sätze bei, demzufolge die Grünen einen Krieg »nur« mitmachen, wenn sie »keinen anderen Ausweg mehr wissen«. Und von der Parteichefin Claudia Roth erlebte man eine wässerige Betroffenheit über Opfer, die die Kommandohöhen der Grünen doch mit zu verantworten haben, deren Angehörigen sie aber bis heute nicht von Angesicht zu Angesicht gegenüberzutreten wagen.

Fast bruchlos wurde eine Partei, die im Strom der größten Friedensbewegung der Bundesrepublik gegründet wurde, in deren erste Kriegsregierung geführt – dies bleibt eines der unrühmlichsten Ereignisse bundesdeutscher Parteiengeschichte. Wo allenthalben von ehrlicher und selbstkritischer Aufarbeitung die Rede ist: Dies wäre die fällige Aufgabe der Grünen.

Aber auf dem heute stattfindenden Sonderparteitag in Göttingen wird das Wesentliche kaum zur Sprache kommen: Dass nicht der Krieg aus dem Ruder gelaufen ist, seitdem die Grünen die Regierung verlassen mussten, sondern dass die Grünen aus dem Ruder gelaufen sind, als sie sich 1998 kriegsbereit in die Regierung begaben. Der fokussierte Streit um Tornados Ja oder Nein ist keiner um Friedenspolitik, sondern um Art und Umfang der Kriegführung.

»Wir lassen die Menschen in Afghanistan nicht im Stich« schreiben die Fraktionsvorsitzenden Renate Künast und Fritz Kuhn salbungsvoll in einem gemeinsamen Artikel ihres Fraktionsmagazins. Und meinen: Die Bundeswehr soll Interventionsarmee bleiben. Ihr Diskurs folgt jenem Neusprech, das die Grünen einst als Heuchelei und Manipulation angegriffen und verspottet haben. »Krieg ist Frieden« formulierte George Orwell als Leitsatz der Herrscher von Ozeanien. Die Grünen wurden ihre geleerten Schüler. Sie haben dem Motto »Stell Dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin« den Nachsatz entrissen, durch »und wir sind dabei« ersetzt.

Das Bild dieses 15. September ist bizarr: In Berlin demonstriert die Friedensbewegung, die Kriegspolitik zu beenden – in Göttingen ringt die grüne Führungsetage darum, wieder Verantwortung für sie tragen zu dürfen. Aber schemenhaft steht an der Stirnwand der Göttinger Bühne: Es gibt einen Ausgang – nicht nur aus Kriegen, sondern auch aus Kriegsparteien heraus, wenn sie solche bleiben wollen. Seit die Grünen ihre Vorkriegszeit verdrängt haben, hat jedes siebte Mitglied die Schrift erkannt.

* Jürgen Reents ist Chefredakteur des "Neuen Deutschland". Er war früher einer der Autoren des Gründungsprogramms der Grünen und außenpolitischer Sprecher ihrer ersten Bundestagsfraktion.

Aus: Neues Deutschland, 15. September 2007 (Kolumne)



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